Mittwoch, 23. Mai 2012

Reisen

Ich habe im Moment viel Zeit zum Schreiben, weil der Arzt in der Poliklinik in meinem Block beschlossen hat, dass mein Knie am besten dann heilen kann, wenn ich es gar nicht mehr bewegen kann. Deshalb ist mein halbes Bein jetzt von einer Gipsschiene umschlossen, die 10 cm über dem Knöchel beginnt und auf der Hälfte des Oberschenkels reicht, und mein Bein stabilisieren soll. Na ja, wenigstens sind die Temperaturen jetzt wieder auf 20° gefallen und ich schwitze nicht.
Da ich selbst so immobil bin, habe ich beschlossen über ein mobiles Thema zu schreiben: Reisen.
Im April und Mai bin ich recht viel rumgekommen und habe dabei alle Fortbewegungsformen mitgenommen, die Russland zu bieten hat. Das einzige, was ich nicht gemacht habe und was ich wohl auch in Zukunft nicht machen werde, ist per Anhalter reisen. Auf unserem mid-term meeting haben die anderen Freiwilligen wieder mit einem Leuchten in den Augen von ihren Autostop-Erlebnissen geschwärmt, als wenn es die einzige Forbewegungsform wäre. Aber das waren auch alles noch sehr junge Menschen, die außer ihrem Schulabschluss noch nicht viel abenteuerliches erlebt haben. Und die meisten von ihnen haben in ihren Projekten nicht wirklich viel zu tun und deshalb viel Zeit zum ausgedehnten Reisen. Mir ist für so eine unkalkulierbare Art des Reisens meine freie Zeit einfach zu kostbar.
Der Faktor am Reisen in Russland, den ich am Anfang nämlich unterschätzt habe sind die Entfernungen und die damit verbundene Zeit. Die einzige Großstadt in Tagesausflugsnähe ist für uns Samara (1,5-2 std), allerdings war ich dort schon mehrmals, weshalb es mich nicht mehr so sehr reizt. Samara ist weder eine besonders schöne noch eine besonders spektakuläre Stadt, allerdings gefällt mir das Flair, besonders jetzt im Frühling/Sommer: Die Innenstadt ist eingeschlossen zwischen zwei Flussarmen, es gibt mehrere Stände direkt in der Stadt und es herrscht fast ein bisschen Mittelmeerfeeling.
Sammelabteil im Zug
 Ende April waren wir in Nizhny Novgorod bei unserem mid-term training. Das müssen alle Freiwilligen absolvieren, die länger als sechs Monate in ihren Projekten arbeiten. Es war ganz entspannt. Die meisten Leute kannte ich schon vom Training im November und es war ganz schön mal alle wieder zu sehen. Der Großteil der anderen kam aus Moskau und St. Petersburg und hat Nizhny Novgorod schon als Reise ins "wahre Russland" begriffen - die sollten mal nach Togliatti kommen... Nizhny Novgorod ist eine Millionenstadt und recht schön herausgeputzt mit Kreml und hübschem Pflaster in der Innenstadt. Wir sind dort hin mit dem Bus gefahren, weil es von Togliatti aus keine direkte Zugverbindung gab. 14 Stunden pro Fahrt und es war beide Male die Hölle. Busse sind ja von Natur aus nicht die bequemsten Reisemittel: Man kann sich nicht richtig ausstrecken, schläft deshalb gar nicht oder in unmöglichsten Positionen, man wagt nicht etwas zu trinken, weil man nie weiß, wann der nächste Toilettenhalt kommt, und durch die Gegend laufen kann man auch nicht. Hinzu kommt, dass die Straßen in Russland nach dem Winter in einem katastrophalen Zustand waren, selbst auf den Hauptverkehrswegen. Teilweise sind wir kilometerweit nur im Schrittempo gefahren und die tiefen Schlaglöcher haben auch nicht dazu beigetragen, dass ich besser geschlafen habe. Kurzum, ich war froh, als ich wieder in Togliatti war und dass ich die nächste große Reise mit dem Zug und dem Flugzeig absolvieren konnte.
Heißes Wasser aus dem Samowar gibts immer umsonst...
 Im Mai bin ich für eine Woche in Deutschland gewesen und für diese eine Woche habe ich jeweils mehr als 30 Stunden Reise auf mich genommen: Mit dem Bus von Togliatti nach Samara, von dort aus mit dem Zug nach Moskau und von dort aus wiederum mit dem Flugzeug nach Hamburg. Ich wollte Geld sparen und habe deshalb den Flug nur ab Moskau gebucht, aber weil ich zu lange gewartet habe und den Feiertag (Tag des Sieges über Nazi-Deutschland) nicht mit einberechnet habe, war die Zugreise auch unerwartet teuer.
...genauso wie einen tollen Ausblick (hier die Wolga)
Ich habe im Internet gebucht, was überraschend problemlos funktiniert hat. Das Tolle am Zugreisen in Russland ist, dass man im Zug schlafen kann - in richtigen Betten. Ich bin im Sammelwagon gefahren. Dort liegen sich in kleinen Abteilungen jeweils zwei mal zwei Betten gegenüber und auf der anderen Gangseite noch einmal zwei. Das ganze neun Mal macht 54 Betten pro Wagon. Die Sitze sind tagsüber Lederbänke, nachts werden die Matratzen und Kissen aus den hohen Ablagen geholt und die Betten zurechtgemacht. Es ist nicht die beste Art, die Nacht zu verbringen, aber die beste auf Reisen.
Angst um sein Reisegepäck muss man nicht haben. Es gibt für jeden Wagon einen Zugbegleiter, der beim Einsteigen die Pässe aller Reisenden kontrolliert. Es kommt also nur in den Zug, wer auch wirklich ein Ticket hat. In jedem Zug soll es einen Speisewagen geben, der angeblich sogar richtig gutes Essen anbietet, aber ich habe mich bis jetzt immer selbst versorgt. Heißes Wasser gibts im Zug auch immer umsonst.
Über das Fliegen in Russland gibt es nicht viel außergewöhnliches zu vermelden, außer dass der Flughafen Domodedovo in Moskau der best überwachteste ist, von dem aus ich je geflogen bin. Das Gepäck wird schon beim Betreten des Flughafengebäudes durchleuchtet und es gibt die umstrittenen Nacktscanner.
Der kasaner Bahnhof, auf dem ich immer ankomme
Noch mal von außen
In Moskau, wo ich auf der Hinfahrt 6 Stunden absitzen
musste, war leider alles abgesperrt
Wegen der Paraden zum Tag des Sieges am 9. Mai

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