Samstag, 28. Juli 2012

Was ich aus Russland mitnehme

Meine letzten Stunden hier in Togliatti sind angebrochen. In 32 Stunden hebt mein Flieger in Samara ab und dann heißt es wohl erst einmal auf unbestimmte Zeit "Auf Wiedersehen Russland" und (so realistisch bin ich) wahrscheinlich für immer "Auf Wiedersehen Togliatti". Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Meine Zeit hier in Togliatti hat sich von zehn auf neuen Monate verkürzt. Nicht etwa, weil ich das so gewollt hätte, sondern aus dem Grund, dass mir ein Monat Visum fehlt und alle, die mir eine erneute Einladung für einen weiteren Monat Visum hätten ausstellen können, nicht sonderlich motiviert waren sich unötige Arbeit aufzuhalsen.
Ich habe versucht die letzten drei Wochen nach dem Camp noch einmal in vollen Zügen zu genießen und möglichst wenig Gedanken auf die Zeit danach zu verschwenden (soweit das geht, wenn man nebenbei nach Stelle Ausschau hält und Bewerbungen schreibt).
Ich bin viel am Strand gewesen, auch wenn die Wolga durch Algen im Moment grüner ist als der Chicago River am St. Patrick's Day. Meine Sonnenbrände sind nicht mehr ganz so extrem; man kann sagen, dass ich etwas Farbe bekommen habe. Zwei mal waren wir in der Datscha einer Freundin eines Freundes. So läuft das hier in Russland: Ich kannte Lena (so heißt die Besitzerin der Datscha) vorher nicht und kam mir ein bisschen wie ein Eindringling vor, also wir zum ersten Mal bei ihr aufgeschlagen sind, aber beim zweiten Mal fühlte es sich schon an wie zu Hause. Die Datscha ist super gelegen - nur ca. 100 m von der Wolga entfernt - und erinnert an ihrer Herausgeputztheit ein Wenig an Deutschland, wenn da nicht die Banja im Garten wäre. Die haben wir dann auch intensiv genutzt. Es gibt nichts Schöneres als aus der Banja direkt in die Wolga zu springen und im Mondschein zu schwimmen.
Grüne Wolga

Zwei Tage lang waren Kevin und ich noch in Kazan. Wir haben es bereits seit unserer Ankunft geplant, aber immer wieder ist etwas dazwischen gekommen; Arbeit, Geburtstage, das Wetter, die eigene Antriebslosigkeit, die Fußball-EM. Um allen Leuten, die Kazan immer für unser Luftschloss gehalten haben, das Gegenteil zu beweisen, haben wir uns dann letztendlich doch auf den Weg gemacht. Sechs Stunden mit dem Bus (im Vergleich zu unseren 14 Stunden Nizhny Novgorod ein Klacks) immer entlang unseres Wolga-Stausees (Togliatti und Kazan bilden die beiden Endpunkte des Kuibyschewer Stausees). Ich habe es glaube ich schon häufiger geschrieben und es ist unvorstellbar, wenn man es nicht selber gesehen hat, aber manchmal hat man das Gefühl, dass das kein Fluss mehr ist, an dem man dort entlangfährt, sondern eher die Ostseeküste oder so. Besonders in der Nähe von Kazan, wo die Kama in die Wolga mündet, blickt man teilweise auf 30-40km Wasser.
Ein letzes Mal Wolga in Togliatti

Kazan ist die Haupstadt der Republik Tatarstan. Nein, das ist kein Hackfleischsteak sondern eine der vielen Russischen Nationalitäten. Die Tataren sind kein Fantasievolk sondern existieren wirklich und in ziemlich großer Zahl. Da die Tataren muslimisch sind, ist auch Kazan mit 70% tatarischer Bevölkerung stark muslimisch geprägt. So konnten wir im Kreml die größte Moschee Europas bestaunen. Es gibt einer Stadt gleich ein anderes Flair, wenn statt Kirchtürmen Minarette in den Himmel ragen. Wir haben ironischerweise die zwei einzigen kalten Regentage seit zwei Monaten für unsere Reise gewählt, aber so war ich wenigstens angemessen gekleidet für unser Moschee-Sigthseeing.
Größte Moschee Europas in Kazan 

Seit drei Tagen bin ich jetzt in den konkreten Rückreisevorbereitungen und auch schon in der Vorbereitung auf das Workcamp, in das ich nach nur einem Tag Pause fahre. Mittlerweile lässt sich nicht mehr leugnen, dass ich Russland bald verlasse und ich kämpfe bis jetzt noch erfolgreich gegen die Melancholie an, die sich einzustellen droht. Wieder alles packen, sich von Dingen und Gewohnheiten trennen, Erinnerungsstücke entsorgen, die jemand mit festem Wohsitz wahrscheinlich 20 Jahre aufbewahren würde, Dinge ein letzes Mal machen, Wege ein letzes Mal gehen (das letzte Mal einkaufen, das letzte Mal Banja, das letzte Mal Wolga). Die Ungewissheit wo es danach hingeht. Und was am Schlimmsten ist: Wieder mal Abschied nehmen von Freunden, die man gerade erst gewonnen hat. Klar, ich habe mittlerweile Freunde auf der ganzen Welt, aber manchmal ist es auch ganz schön Freunde vor Ort zu haben.
Bevor ich jetzt zu sentimental werde lieber auf die schönen Seiten blicken. Ich glaube es war absolut die richtige Entscheidung hier herzukommen. Ich habe Russland ein gutes Stück besser kennengelernt, eine neue Sprache in Ansätzen gelernt und durch meine Aufgaben hier viel dazugelernt.
Bleibt nur noch die Frage zu beantworten, was ich aus Russland mitnehme. Immateriell ziemlich viel. Materiell grenzen mich die Gepäckbeschränkungen mal wieder extrem ein. So bleibt nur Platz für eine Auswahl meiner schönsten Kühlschrankmagneten, zwei Flaschen Wodka und drei Packungen russische Aspirin (nicht gegen den Kater vom Wodka sondern weil die so extrem billig sind: 4 Rubel (10cent) pro zehner-Packung!)

Dienstag, 24. Juli 2012

Russische Frauen

...und ein bisschen auch die russischen Männer

Ich habe diesen Beitrag schon lange geplant, ihn aber immer herausgezögert. Wahrscheinlich hätte ich schon nach einer Woche über das Thema schreiben können, aber dann wäre meine Meinung nicht so differenziert gewesen. Ich hoffe auch jetzt, dass mein Beitrag nicht zu sehr ins klischeehafte abgleitet.
Nach einer Woche war das Thema "Frauen und Männer und Unterschiede" im Kreise unserer drei Freiwilligen brandheiss. Grund dafür: Man schüttelt Frauen in Russland nicht die Hände. (Mittlerweile weiß ich, dass das so nicht ganz stimmt. Bei geschäftlichen Kontakten werden schon die Hände geschüttelt und wenn eine klare Initiative von der Frau ausgeht, darf auch geschüttelt werden)
Was mir bekannt war, hat Kevin gleich am zweiten Tag in sein erstes großes russisches Fettnäpfchen treten lassen. Er hat der Freundin von Sergey (einer unserer ständigen Begleiter der ersten Wochen) zum Abschied die Hand gereicht. Besagte Freundin ist tiefrot angelaufen, hat wechselweise die ausgestreckte Hand und Kevin angeguckt, angefangen zu kichern und ihn dann nach einigen peinlichen Sekunden umarmt (was wiederum Sergey offensichtlich missfallen hat). Danach wurde Handschüttel-Problem bei uns eingehend diskutiert. Kevin konnte es überhaupt nicht fassen, dass Russland da so "rückständig" ist und ich muss zugeben, dass es für mich auch jetzt immer noch befremdlich ist, wenn zum Beispiel in unserem Lingvoclub einige der Jungs ankommen, sich durch den ganzen Raum arbeiten um allen männlichen Teilnehmern plus Kevin die Hand zu schütteln und für mich nur ein leichtes Kopfnicken überhaben. Aber man passt sich ja an Vieles an.
Was meine beiden Mitfreiwilligen nicht so stark wahrgenommen haben wie ich, war dass ich auch abseits des Händeschüttelns immer etwas außen vor war, aus dem einfachen Grund, dass ich die einzige Frau in einer Männerrunde war. Da ich generell etwas schüchtern ruhig bin, mag ich es nicht gerne mich in ein Gespräch zu drängen, und schon ja nicht, wenn man keinerlei Anzeichen macht mich einzubinden. In den ersten Wochen hatte ich nur eine Person (neben Kevin und Martin), die überhaupt von sich aus mit mir geredet hat. Das hat mich echt deprimiert und ist erst besser geworden, als ich angefangen habe mir meinen eigenen Kreis an Leuten aufzubauen.
Nun soll es aber nicht so aussehen, als ob ich ein großes Problem mit russischen Männern hätte. Mittlerweile fühle ich mich in Männergesellschaft sogar wohler, vorrausgesetzt es ist nicht die Sorte dabei, die nicht gerne mit Frauen kommuniziert. Es sind eher die Frauen die mich einschüchtern in Erstaunen versetzten belustigen ... mir fällt keine richtige Beschreibung ein. Irgendwie erfüllen Russische Frauen immer jedes Klischee, was man von ihnen hat.
Um die Sache von hinten aufzuziehen und vielleicht eine Erklärung zu geben, warum russische Frauen sind wie sie sind, muss man wissen, dass das russische Gesellschaftsbild recht starr ist, genaue Rollenvorstellungen hat und einen enormen Druck ausübt - besonders auf die Frauen. Der typische russische Lebenslauf sieht wie folgt aus: mit 17 Schulabschluss und an die Uni (man wohnt weiterhin bei den Eltern), mit 22 Uni-Abschluss, mit spätestens 23 Heirat (um endlich bei den Eltern ausziehen zu können), mit 26 1-2 Kinder, mit 27 Scheidung. Zeit für einen beruflichen Aufstieg bleibt nicht wirklich, ist auch nicht nötig, weil Frau sich ja sowieso um die Kinder kümmert.
Wer nicht in diesen Lebensentwurf reinpasst, der steht unter enormen Druck. Die Torschlusspanik, die deutsche Frauen bekommen, wenn es auf die Menopause zugeht, haben russische Frauen bereits mit 24 Jahren, wenn die Zahl der brauchbaren Männer sich durch Heirat und Alkoholabhängigkeit immer weiter verringert. Glücklicherweise wird der (äußerliche) Alterungsprozess durch diese Lebensweise stark beschleunigt, so dass ich trotz meiner 26 Jahre immer noch gut als Anfang 20 durchgehe (vor kurzem wurde ich auf einem 18 Geburtstag sogar auf 20 geschätzt *hach*).
Dieser Hintergrund erklärt einiges am Verhalten russischer Frauen. Die russische Frau sieht immer perfekt aus. Sie hat kein Übergewicht, schminkt sich (aber nur dezent), trägt hauptsächlich elegante Röcke und Kleider mit High-Heels und hat lange, gepflegte, ungefärbte Haare. Im Winter habe ich mich immer etwas plump gefühlt, wenn ich mit meinen drei Schichten Kleidung und derben Schuhen in den Bus gestiegen bin und mich geärgert habe, dass meine Haare sich trotzt ewiger Föhnprozedur und jede Menge Haarspray gelockt haben, während neben mir eine Russin im eleganten Pelzmantel mit Pelzhut auf perfekt geglätteten Haaren, mit Rock und hohen Stiefeln mit Absatz saß. Jetzt im Sommer ist es etwas besser geworden. Kleider sind mir nicht mehr zu kalt, durch das dauerhafte Schwitzen werden auch die russischen Haare kraus und im Bikini sind die Speckröllchen eher zu sehen als unter dem weiten Pelzmantel.
Die russische Frau ist außerdem die Aktive in der zwischengeschlechtlichen Beziehung. Wenn sie einen Mann will, bekommt der die volle Charmoffensive zu spüren. Es ist immer wieder witzig zu sehen, welchen Effekt ein ausländischer Mann auf einen Haufen russischer Frauen hat; wie dieser eine Mann plötzlich umschwirrt und umgarnt wird.Von außen betrachtet wirkt das ganze immer etwas zu offensichtlich, künstlich und übertrieben; die Russischen Frauen und Mädchen erscheinen mir zudem immer so profan und uninteressant, sodass ich mir immer sage, dass mich das als Mann wahrscheinlich eher abstoßen würde, aber vielleicht hat es einen anderen Effekt, wenn man direkt involviert ist. Ich kenne auf jeden Fall kaum einen Ausländer, der keine russische Geliebte/Freundin hat. Russische Frauen haben international wohl nicht zu Unrecht einen gewissen Ruf.
Unter meinen Freunden und Bekannten hier sind eigentlich nur drei Frauen, mit denen ich viel zu tun habe. Davon ist einen eine Ausländerin, eine die Freundin von Kevin und die dritte ein Hippie-Mädchen und zugleich die einzige Russin, mit der ich das Gefühl habe auf Augenhöhe zu reden.

Samstag, 21. Juli 2012

Essen Teil 5: Russifizierte Geschmäcker

Vor kurzem habe ich festgestellt, dass sich mein Geschmack in den neun Monaten, die ich hier verbracht habe, sehr den russischen Vorlieben angenähert hat.
Wenn ich mir meinen Tee selbst zubereite, ist er zwar immer noch zuckerfrei, aber mittlerweile macht es mir nichts mehr aus den vollkkommen übersüssten Tee oder Kompot in den Kantinen zu trinken. Irgendwie muss man seinen Flüssigkeitshaushalt im Sommer ja aufstocken. Generell kommt mir Süßes in Russland nicht mehr so süß vor wie noch am Anfang. Den Kuchen esse ich mittlerweile echt gerne.
Ähnliches gilt für salzige Lebensmittel. Ich bin ein Fan von eingelegtem Gemüse jeder Art geworden. (OK, eingelegte Wassermelone habe ich noch nicht probiert. Die gibt es nämlich auch!) Gesalzene семечки (semetschki - sonnenblumenkerne) mochte ich schon vorher, aber mittlerweile schmeckt mir auch der gesalzene, getrocknete Fisch, den ich bis jetzt immer abstoßend fand. Was ich wirklich vermissen werde, sind Russische Chips-Sorten. Wenn ich in Deutschland wieder nur die Wahl zwischen Paprika und Paprika scharf und Paprika noch schärfer und Paprika - brennt dir die Zunge weg habe, werde ich mich wohl nach meiner neuen Lieblingssorte "Eingelegte Gurke mit Dill" sehnen. Die schmeckt echt so, als wenn man an einem Glas eingelegter Gurken riechen würde.
Abseits davon habe ich noch einige sonderbare Russiche Angewohnheiten agenommen: Ich bin verrückt nach Sushi geworden! Ich esse meinen Salat mit Mayonaise! Bier ist kein Alkohol sondernein Erfrischungsgetränk! Und dazu muss man immer etwas salziges Essen. Ich habe mich außerdem etwas mit Pilzen und Pfannkuchen angefreundet. Was ich allerdings nie mögen werde ist Kascha - der weder richtig süße noch richtig herzhafte, immer extrem zerkochte haferbrei der hier zum Frühstück Standard ist.
Meine Lieblings Chips-Sorte: Eingelegte Gurke mit Dill