Mittwoch, 11. April 2012

Frühling? Fehlanzeige!

Nach dem heutigen Tag bin ich fest davon überzeugt, dass es in diesem Land nur zwei Jahreszeiten gibt: Winter und Sommer.
Bis vor drei Wochen habe ich noch geglaubt, dass der Winter nie vorrüber gehen wird. Meterhoher Schnee und zehn zentimeter breite festgetrampelte Eisflächen überall, einmal pro Woche 10-15 cm Neuschnee und  Temperaturen, die seit Dezember die Null-Grad-Grenze nicht mehr überschritten haben. Doch dann fing es tatsächlich an zu tauen. Zuerst nur, weil die Sonne so stark geschienen hat, dass der Schnee trotz Minusgraden geschmolzen ist, doch bald waren es tagsüber 2-3 Grad. Die Schneemassen sind geschmolzen - zuerst langsam und dann immer schneller. Zwei Wochen lang war die Stadt ein einziger Teich, weshalb ich 450 Rubel  (ca. 10 Euro) in ein Paar wunderschöne, runtergesetzte Kindergummistiefel (die Vorteile von Schuhgröße 38) investiert habe.
Der Teich vor unserer Haustür

Und mit dem schmelzenden Schnee habe ich eine neue Stadt entdeckt. Eigentlich kenne ich Togliatti gar nicht ohne Schnee. Fünf Tage nach dem wir angekommen sind, hat es das erste Mal geschneit und seitdem ist der Schnee nicht mehr getaut. Auf einmal kommen Gehwege zum Vorschein, wo ich nie welche erwartet hätte, Bänke, die Unter dem Schnee begraben waren, die Umrandungen von Gärten neben den Häusern und Auf dem freien Feld neben unserem Haus ist eine Rennbahn. Es ist aber leider auch der Dreck von einem halben Jahr wieder zum Vorschein gekommen. Kaputte Flaschen, der Lehm, der im Winter auf das Eis gestreut wurde, Müll, Äste, die dem Schnee nicht standgehalten haben, Zigarettenkippen und Unmengen an Hundescheiße. Die Straßen sind aufgeplatzt und mit Schlaglöchern überseht, die Asphaltbrocken liegen in der Gegend verteilt herum.  In den nobleren Vierteln der Stadt ist der Dreck mittlerweile schon geräumt worden. Die nicht so noblen Viertel, zu denen unseres anscheinend zählt, gleichen einem Kriegsschauplatz - grau, trostlos und mit Trümmern überseht.

Mit meinen neuen Gummistiefeln im Scheematsch
Aber jetzt dazu, wie ich darauf komme, dass es hier keinen Frühling gibt. Bis zur letzten Woche war es hier wirklich winterlich. Zwar hat es tagsüber getaut, aber nachts ist es noch bis zu -10 grad kalt geworden. Seit Mitte letzter Woche hat es nicht mehr gefroren und heute waren es plötzlich über +20°! Die Vögel haben geschwitzert, die Leute sind luftig bekleidet durch die Straßen flaniert und als ich Abends um 9 nach Hause gekommen bin, waren außergewöhnlich viele besoffene Menschen unterwegs. Angeblich wird hier im Sommer eine einzige riesige Open-Air-Party gefeiert (viele Clubs schließen in den Sommermonaten sogar, weil die Leute entweder auf ihren Datschen sind oder draußen feiern) und das waren wohl die ersten Vorläufer davon. Mich haben die heutigen Temperaturen kleidungstechnisch echt in Probleme gebracht. Ich bin es einfach nicht mehr gewohnt, mich nicht wintertauglich zu kleiden. Skeptisch habe ich heute erstmals eine dünne Strumpfhose angezogen und den Wintermantel zu Hause gelassen. Aber selbst meine Fleecejacke war noch zu warm, so dass ich letztendlich ohne Jacke rumgelaufen bin.
Trümmerfeld Spielplatz
 Das Abstruse an den jetzigen Temperaturen ist jedoch, dass die nicht-regulierbare Fernheizung noch immer auf Hochtouren arbeitet und man sich deshalb drinnen zu Tode schwitzt. Heute Nacht werde ich wohl mit offenem Fenster schlafen, wo bei mein Öko-Herz fürchterlich schmerzen wird.

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