Freitag, 17. Februar 2012

Das Abenteuer, die russische Sprache zu lernen

Vor ein paar Tagen saß ich morgens in der Küche und habe mit Ludmilla (unserer Gasttante) gefrühstückt. Wir haben uns über unseren Tag und die Pläne für die Woche unterhalten, sie hat gefragt, wie es meiner Familie geht und ob wir heute Abend besuch mit nach Hause bringen würden. Eine ganz normale Unterhaltung. Allerdings spricht Ludmilla nur russisch und die Tatsache, dass ich eine ganz normale (wenn auch etwas holprige) Unterhaltung mit ihr führen kann, macht mich etwas stolz auf mich selbst. 
Als ich nach Russland gekommen bin, konnte ich lediglich das russische Alphabet lesen. In den ersten Wochen habe ich mich ständig verloren gefühlt, weil ich mit niemandem kommunizieren konnte; nicht einmal ein paar Worte austauschen konnte - mit Englisch kommt man hier nämlich auch nicht weiter. Mitte Dezember hatte ich schon jede Hoffnung aufgegeben, jemals Russisch zu lernen, doch dann kam die Erlösung: Seit unserer Ankunft,  hatten Kevin und ich alle Leute mit unserer Forderung nach einem Sprachkurs, der uns laut Vertrag zusteht, genervt. Und nun kam endlich eine kaum noch zu erwartende Nachricht: eine Dozentin für Russische Linguistik würde sich bereiterklären uns Unterricht zu erteilen. Zur gleichen Zeit bot uns eine Dozentin der deutschen Fakultät an, uns zu unterrichten. Seitdem haben wir 1-2 mal pro Woche für zwei Stunden Russischunterricht und es geht bergauf! Anfang Januar habe ich festgestellt, dass ich fast alles verstehe, wenn sich zwei Personen auf Russisch unterhalten. Mittlerweile spreche ich auch selbst einigermaßen. Ich habe zwar einen sehr starken Dialekt (wie glaube ich jeder, der Russisch nicht als Muttersprache spricht) und meine Sätze sind voll von Fehlern oder es sind nicht einmal komplette Sätze, aber man versteht mich, wenn es sein muss. Ich kann, wie man so schön sagt, "meinen Alltag meistern".
Die Illusion, dass ich Russisch perfekt lernen könnte, habe ich schon verloren, aber ich glaube, dass ich bis zum Sommer zumindest ansatzweise fließend sprechen werde. Perfektion ist schon deshalb nicht zu erreichen, weil Russisch zwar in einigen Bereichen wesentlich simpler ist als alle anderen Sprachen, die ich bisher gelernt habe, dafür aber teilweise wieder extrem komplex ist. Es gibt zum Beispiel das Wort "sein" nicht. Man sagt "Ich Anne". Ich hatte anfangs immer das Gefühl, dass ich keine ganzen Sätze spreche, aber mittlerweile bin ich ganz froh, dass es so einfach ist. Außerdem gibt es nur drei Zeitformen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) und die sind noch dazu extrem einfach zu bilden. Im Gegenzug gibt es allerdings sechs Fälle: Neben den vier deutschen (Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ) noch Instrumental und Präpositional. Das macht es extrem schwierig grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden. Selbst wenn man ein Wort kennt, weiß man nicht, welche Endung es in dem gesuchten Zusammenhang hat. Sogar die Namen werden geändert: ich bin je nach Fall Anna, Anne, Anni, Annu oder Annoi. Wenn man dann noch dazunimmt, dass die Wörter oft mit einander verbunden werden (wie im Französischen), hat man dass Gefühl, dass Russisch ein einziger Fluss von Lauten ist, in denen es unmöglich ist, einzelne Wörter rauszuhören.
Was mich schier in den Wahnsinn treibt ist die Betonung, die als unheimlich wichtig gilt: Ein betontes "o" wird zum Beispiel als "o" ausgesprochen, ein unbetontes als "a", teilweise wechselt die betonte Silbe, wenn ein Wort dekliniert wird oder der Plural gebildet wird. Es gibt weiche und harte Versionen von Buchstaben (ich höre meistens keinen Unterschied) und Zeichen (ь ъ), die einen Buchstaben härter oder weicher machen. Und es gibt unheimlich viele Zisch-Laute, die sich alle gleich anhören (ш - sch, щ - schtsch, ж - dsch, ц - tz).
Was mich immer wieder zum Schmunzeln bringt, ist die Art und Weise, wie internationale Begriffe, russifiziert werden. Ein großes Problem stellt immer der Buchstabe "H" dar. Den gibt es nämlich im russischen Alphabet nicht. Am korrektesten ließe sich das "H" wohl mit dem russischen Buchstaben "x" (gesprochen in etwa "ch" wie in "Dach") transkribieren. Die russische Version von Doctor House ist dementsprechend auch "Доктор Хаус" (Doktor Chaus). Aus irgendeinem mir unerklärlichen Grund wird im Regelfall allerdings anstelle des "H"s ein "G" gesetzt, was immer wieder zu witzigen Wortkreationen führt. Ich zum Beispiel komme aus Gamburg, der berühmte Zauberschüler heißt Garry Potter und als ich mit meinen Deutschschülern im Sprachcamp "Ich war noch niemals in New York" für das Abschlusskonzert eingeübt habe, musste ich ihnen ausprügeln, Gawaii anstelle von Hawaii zu singen.
Mal abgesehen davon, dass die meisten Russen (nicht nur Schüler) sowieso grottenschlechte Geographiekenntnis haben, sind Orts- und Ländernamen eine einzige witzige Kategorie für sich selbst. Ich komme wie gesagt aus Gamburg. Wenn ich Hamburg sage, verstehen mich die wenigsten. Paris heißt sonderbarerweise Parisch, Athen kennt man als Afina. Einen Preis bekommt derjenige, der errät, wo Gaiti liegt oder Golland. Die Krönung ist allerdings Texas: Das x wird hier nicht wie zu erwarten als "кс" (ks) transkribiert, sondern mit dem kyrillischen Buchstaben x (Aussprache siehe oben). Texas kennt man hier also nur als Techas. 
Was mich immer wieder erstaunt, ist, wie unglaublich viele deutsch Wörter im russischen gebraucht werden. Zum einen sind dies natürlich viele militärische Begriffe, von denen einige sogar in den Alltagsgebrauch übergegangen sind. Der kleine Raum im Eingangsbereich der Schule, in dem die Herrscherin über alle Schlüssel des Gebäudes den ganzen Tag über gelangweilt rumsitzt, heißt zum Beispiel "вахта" (Wachta) und vor kurzem ist mir klar geworden, dass der Name der kleinen Minibusse "маршрутка" (Marschrutka) vom deutschen "Marschroute" kommt. Aber auch abseits des Militärischen haben es viele Deutsche Wörter ins Alltagsrussisch geschafft: Allgegenwärtig ist das "бутерброд" (Butterbrod), echt witzig mit rollendem "R" gesprochen. Ein beliebter Beruf ist бухгалтер (Buchgalter), wenn man nicht schon бургомистр (Burgomistr) ist. Um nach dem Kochen die картофель (Kartoffel) abzugießen benutze ich ein дуршлаг (Durschlag), es sei denn es ist капут (kaputt). Wer zu schnell mit dem Auto fährt bekommt eine штраф (Schtraf). Silvester gibt es фейерверк (Feierwerk). Wer die Haare schneiden lassen will geht zum парикмахер (Parikmacher, kommt von Perückenmacher, wird aber für Friseur benutzt), wer einen Brief verschicken will zum почтамт (Poschtamt). Auf dem Rücken trage ich einen рюкзак (Rjuksack). In einem Paket Eier sind zwölf штук (Schtuk). Und sowohl Kabel als auch Schnürbänder werden hier шнур (Schnur) genannt. 
Das sind nur ein paar Beispiele. Ich habe noch nie eine Sprache gelernt, in der es so viele deutsche Wörter gibt. Daneben werden im russischen auch viele Englische und Französische Wörter verwendet. Manchmal habe ich das Gefühl, dass dies Sprache komplett aus Fremdwörtern besteht.

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