Dienstag, 21. Februar 2012

Die Nationen Russlands (zu Besuch in Togliatti)

Bei der Recherche für meine Diplomarbeit über die Republik Moldau habe ich mich zeitweise auch mit der sowjetischen Strategie in der National- und Kulturpolitik befasst. Das Grundelement dieser Strategie war, den unzähligen Nationen eine gewisse Eigenständigkeit zuzugestehen, dabei aber immer die Unterordnung unter das sowjetische Gesamtkonstrukt zu betonen, in dem das Russische die klare Vorherrschaft hatte. Die Eigenständigkeit wurde dementsprechend auch auf das Folkloristische reduziert - moldauische Mädchen und Wein sind gut, aber bloß kein Rumänisch im öffentlichen Leben.
Nein, keine Piraten, sondern Menschen aus Dagestan (wie russische Jugendliche sie sich vorstellen)
Ein Teil dieser Mentalität hat sich noch ins heutige Russland gerettet. Die ehemaligen Sowjetrepubliken werden mit Argwohn betrachtet: Das Baltikum gilt als an Europa verloren. Die Ukraine ist Russland (genauergenommen die Perle Russlands), genauso wie Belarus (wobei die nicht die Perle sind, weil sie diesen Verrückten haben, der so Verzweifelt die Nähe zu Russland sucht, dass es schon fast widerlich ist). Moldova? Was war das noch mal? Dann gibt es die Republiken im schönen Süden am Schwarzen Meer und am Kaspischen Meer, die eigentlich doch viel lieber zu Russland gehören würden (Deshalb hat Russland auch seine Armee zur Befreiung der Unterdrückten geschickt). Und natürlich die -stan-Länder (Kasachstan, Turkmenistan etc.), aus denen die ganzen schlitzäugigen Einwanderer kommen, die nur danach trachten den Russen die Arbeitsplätze zu nehmen. Für die Nationalitäten, die noch heute Teil Russlands sind, gilt Ähnliches wie noch zu Sowjetzeiten: So lange sie ihre Kultur nur als Folklore ausleben, sind sie gerne gesehen, aber sobald sie Forderungen nach Unabhängigkeit stellen, sind sie Terroristen. Während man bei uns vor allem von Tschetschenien gehört hat, steht hier vor allem Dagestan (die Nachbarregion) im Fokus. Die Erwähnung des Namens ruft glaube ich selbst bei den tolerantesten und liberalsten Menschen ein Bild von bis unter die Zähne bewaffneten (ganz wichtig: der Dolch) Islamisten hervor, die nicht davor zurückschrecken einen unbescholtenen Bürger hinterrücks im Dunkeln nieder  zu stechen.

Russifiziert für einen Nachmittag
Baschkiren
Lange Vorgeschichte um endlich zu dem zu kommen, was ich eigentlich schreiben wollte. Am vorletzten Wochenende haben wir am "Festival der russischen Nationen" teilgenommen, das von den Chance Jugendhäusern organisiert wurde. Der clevere Leser begreift jetzt, den Sinn der ganzen Vorgeschichte. Wie immer in Russland war das ganze ein Wettbewerb. Die Kinder und Jugendlichen haben im Vorfeld Puppen in Nationaltrachten gebastelt, die auf nun präsentiert wurden. Es wurde sich verkleidet, es gab ein intellektuelles Spiel  - äußerst beliebt: dabei werden in Teams Fragen beantwortet wie bei "Wer wird Millionär" - zum Thema Nationen. Es wurden Wappen und Traditionen vorgestellt und am Ende wurden traditionelle Tänze vorgeführt. Wir haben schon Wochen vorher mit den Kindern Puppen gebastelt: eine bulgarische Ivanka und einen bayrischen Wolfgang (den Namen hat Martin sich ausgesucht). Ja, es musste ein Bayer sein, weil das Leider das Bild ist, das man von uns Deutschen in Russland hat. Alle Erklärungen, dass weder ich noch Kevin aus Bayern kommen, waren vergebens.
Unsere Puppen sind allerdings außer Konkurrenz gelaufen. Stattdessen saßen wir in der Jury - zusammen mit zwei echten Kosaken! Die beiden waren echt nett, so dass der Nachmittag doch nicht komplett langweilig geworden ist. Am Anfang wollten sie uns noch erklären welche Rolle die Kosaken im 2. Weltkrieg gespielt haben, aber am Ende haben wir zusammen tartarisches Tschak-Tschak gegessen. Der Höhepunkt des Ganzen war dann allerdings, dass wir Freiwilligen zum Abschluss ein russischen (Trink-)Lied gesunden haben: Ой, Мороз, Мороз.
Ivanka (aus Bulgarien) mit ihrem bayrischen Mann Wolfgang

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