Samstag, 4. Februar 2012

Sprachencamp

Es ist zwar schon einige Wochen her, trotzdem möchte ich aber noch über das Sprachencamp schreiben, an dem wir in der ersten Januarwoche teilgenommen haben.
Alles hat damit angefangen, dass wir Mitte Dezember eine 
email bekommen haben, die über drei Ecken an uns weitergeleitet wurde, und in der die Alliance Francaise Togliatti (so etwas wie das Goethe-Institut nur für Französisch) darum gebeten hat, dass wir an ihrem Sprachencamp teilnehmen. Lange war uns unklar, wie die überhaupt darauf gekommen sind, dass wir in Togliatti leben, aber am Ende war es wie immer in dieser Stadt: Jeder kennt irgendwie jeden und schuldet jedem noch einen Gefallen. Anscheinend hat der Direktor der Alliance Francaise den Kontakt zwischen Chance (unsere Organisation) und dem internationalen Büro der Universität hergestellt, das letztendlich alle unsere Visa-Angelegenheiten geregelt hat.
Das Camp hat direkt in 
Togliatti stattgefunden. In einem Ferienlager für Kinder direkt in der "grünen Zone" (so heißt der große Wald mitten in der Stadt an der Wolga). Eine sehr schöne Umgebung also - aus meinem Fenster im dritten Stock konnte ich direkt auf den Fluss blicken.
An dem Camp haben 80 Kinder und Jugendliche im alter von 7-17 Jahren teilgenommen und es war komplett anders organisiert als die 
Camps, bei denen ich bis jetzt mitgearbeitet habe. Das hat schon damit angefangen, dass es eine hauptamtliche Organisatorin gab, die während dem Camp allerdings kaum in Erscheinung getreten ist und mit der ich auch sonst kaum Kontakt hatte, und sonst eigentlich niemand an der Planung beteiligt war. Das hat mich etwas gestört, weil ich eigentlich vollkommen unvorbereitet in die ganze Sache reingegangen bin, was mir überhaupt nicht gefallen hat. Ich hatte vorher weder eine Ahnung, wer die anderen Mitarbeiter sind, noch den Ort gesehen, noch eine genaue Vorstellung wie mein Tag aufgebaut ist und wie ich meinen Aufgabe gestalten soll. Wir hatten eine Besprechung mit der Organisatorin und zwei Wochen vor Campbeginn haben wir das Programm und eine Liste mit mehr oder weniger aussagekräftigen Themen für den Unterricht zugeschickt bekommen.
Meine Aufgabe war es Deutsch zu unterrichten, wie immer die undankbarste Aufgabe überhaupt. 
Kevin drückt sich immer davor Deutsch zu unterrichten, weshalb das immer an mir hängen bleibt. Undankbar ist es deshalb, weil es sowohl in der Schule, an der wir unterrichten, als auch im Camp immer nur sehr wenige Leute gibt, die Deutsch lernen und deren Sprachkenntnisse sind zudem meistens noch sehr schlecht, weil die wenigsten Deutschlehrer hier jemals in Deutschland gewesen sind. Im Camp kam noch dazu, dass alle Kinder zwei Sprachen wählen mussten, die sie im Camp lernen wollten, und viele einfach Deutsch gewählt haben, weil sie weder Deutsch noch Französisch gesprochen haben, man aber für Französisch eine Sprachstandseinstufung machen musste. Ich musste dadurch Schüler, die kein Wort Deutsch gesprochen haben, und Schüler, die seit mehreren Jahren Deutsch lernen und teilweise auch recht gut gesprochen haben, in einer Gruppe integrieren, was letztendlich unmöglich war. Normalerweise hätte ich laufend Deutsch sprechen müssen, um wirklich von Nutzen für die besseren Schüler zu sein, aber dann hätte mich ein Großteil nicht verstanden.
Unterricht mit meiner Lieblingsgruppe, die 10-12 jährigen (Mein "Klassenraum" war der Flur im dritten Stock - etwas ungünstig, weil es Sofas und einen Fernseher, aber dafür nur wenige richtige Stühle und Tische gab, und ständig irgendwelche Leute vorbei gelaufen sind)
Der Aufbau des Camps war strikt nach Verantwortlichkeit getrennt. Es gab Teamleiter, die jeweils zu zweit eine Gruppe von 20 Kindern aufgeteilt nach Altersgruppen geleitet haben. Martin war Teamleiter in der ältesten Gruppe. Was meiner Meinung nach Schade war und dem Konzept eines Sprachcamps etwas widersprochen hat, war, dass von den Teamleitern außer Martin und noch einem Russen niemand wirklich Englisch gesprochen hat. Ich verstehe ja, dass man kleinen 7-10 jährigen Kindern jemanden zur Seite stellen muss, der mit ihnen in ihrer Muttersprache spricht, aber die älteren Gruppen hätten sicher mehr davon profitiert, wenn man rund um die Uhr Englisch mit ihnen gesprochen hätte. Martin hat das in seiner Gruppe durchgezogen und ich habe von vielen Jugendlichen gehört, dass ihnen das gut gefallen hat. Leider war er der einzige, der das machen konnte, wodurch der Großteil der Teilnehmer nur für einen halben Tag (während der Unterrichtszeit) in einem Sprachcamp war und abseits davon Russisch geredet hat. Ich hatte teilweise das Gefühl, dass meine Workcamps im Sommer mindestens genauso viel Sprachcamp sind wie dieses Lager. Was mich auch etwas befremdet hat, war, dass die Teamleiter ihre Gruppen immer unter genauester Beobachtung hatten. Extremstes Beispiel dafür war der Weg vom Wohngebäude zum Essensgebäude, ca. 200 m auf dem eingezäunten Campgelände. Vor jedem Essen haben sich die Gruppen vor dem Wohngebäude gesammelt, wurden durchgezählt und sind dann geschlossen den Weg gegangen - und das Gleiche dann noch mal auf dem Rückweg. Ich habe irgendwann mal erwähnt, dass ich das für etwas übertrieben halte, besonders für die ältesten Gruppen. Mir wurde dann erzählt, dass es im vorherigen Wintercamp einen schrecklichen Vorfall gab: Zwei kleine Mädchen sind heimlich weggelaufen und auf die nahegelegene Wolga gegangen. Sie sind im Eis eingebrochen und ertrunken. Die Mitarbeiterin, die für die Gruppe verantwortlich war, hat eine Gefängnisstrafe von 1,5 Jahren bekommen.
Neben den Teamleitern gab es uns Lehrer: Mich als einzige Deutschlehrerin, Maria (eine Mitarbeiterin der 
Alliance Francaise) und Mael (ein Franzose, der für die Alliance Francaise als Lehrer arbeitet), die französisch unterrichtet haben, und vier Englischlehrer - KevinLewis (aus Südafrika) und Makasa (aus Sambia), die beide in Uljanowks studieren, und Zanda (Maels Freundin aus Lettland). Ich habe erst am Ende des Camps festgestellt, dass wir eigentlich das beste Aushängeschild waren. Hier im tiefsten Russland trifft man nämlich sehr selten auf Ausländer und noch seltener auf Ausländer, die Sprachen unterrichten. Und Alliance francaise konnte damit werben, dass sie für alle Sprachen Muttersprachler als Lehrer haben. Die Krönung des ganzen (auch das habe ich erst am Ende des Camps begriffen) war ich selbst. Ich war nämlich die erste deutsche Deutschlehrerin, die jemals in diesem Camp unterrichtet hat (und es gibt das Camp immerhin schon seit 10 Jahren). Eigentlich sollten wir Lehrer nur unterrichten und sonst keinerlei Verantwortung tragen. Streckenweise habe ich mich tatsächlich wie eine Lehrmaschine gefühlt, wenn von 10 bis 15 Uhr eine Gruppe nach der anderen bei mir durchgeschleust wurde, die alle das gleiche Thema unterrichtet bekommen haben. In der Realität funktioniert lockeres Lernen in so einem Camp aber nur, wenn man sich auch abseits des Unterrichts mit den Kindern beschäftigt. Wir haben deshalb an allen Nicht-Lehraktivitäten teilgenommen - von der Campdisco (jeden Abend! Und die Teilnehmer haben getanzt als gäbe es kein morgen - selbst die älteren) bis hin zum Weihnachtskonzert. Aber ansonsten wäre mir wahrscheinlich auf langweilig geworden, wenn ich immer nur bis 15 Uhr gearbeitet hätte.
In der Kantine - gute Laune trotz schlechtem Essen

Eine Sache, die noch anders war, als ich es von meinen 
Camps gewohnt bin, war, dass hier alles darauf ausgerichtet war, die Kinder zu unterhalten und zu beschäftigen. Die Kinder haben im Gegensatz zu uns Lehrern nicht durchgehend Unterricht gehabt und in ihren Freistunden haben sie Massagen bekommen. Dafür war extra eine Masseuse angestellt. Einen Mitarbeiter hatten wir auch, der nur für die Planung der Freizeitgestaltung zuständig war. Der hat sich ständig neue Sachen einfallen lassen: Ein Märchen verfilmen (die Schneekönigin), einen Ritterkontest (das Oberthema des Camps war "Mittelalter"),... Jeden Abend gab es irgendeinen Ball, ein Konzert oder ähnliches bei dem etwas vorgeführt wurde und leider war Anatolij (der Bespassungs-Mitarbeiter) der Meinung, dass es zu jedem guten Abendprogramm dazu gehört, dass die Lehrer auch einen Auftritt haben. Im Prinzip hatte er Recht, weil unsere Auftritte immer zu den beliebtesten zählten, aber ich bin nun mal einfach keine Rampensau und bin jedesmal fast verzweifelt, wenn wieder mal der Auftrag kam irgendeinen Tanz, ein Lied, einen Zaubertrick etc. vorzubereiten. Das Problem war auch, dass alles immer sehr kurzfristig kam: "Ihr wisst ja, dass morgen Abend die große Gala-Show der Teamleiter und Lehrer ist. Es wäre schön, wenn ihr Lehrer acht Beiträge vorbereiten könntet." - "Acht?!? Bis morgen?!? Reichen nicht auch fünf oder sechs?" - "Nein, eigentlich war das keine Bitte sondern ein Befehl." Er hat übrigens wirklich fließend deutsch gesprochen, weil er im wirklichen Leben Ingenieur ist und für eine Firma arbeitet, deren Zentrale in Deutschland liegt. 
Prinzessinen - der Auftritt der jüngsten Gruppe beim Weihnachtsball
Wir haben also einen großen Teil unserer freien Zeit darauf verwendet irgendwelche Beiträge einzuüben. Zum Glück hatten wir Maria und Mael, die beide ein gewisses Showtalent hatten. Im Nachhinein kann ich sogar sagen, dass das ganze Spaß gemacht hat. Wirklich gut war unser Auftritt beim Weihnachtsball (Weihnachten ist in Russland am 7. Januar und ist deshalb genau in unsere Campzeit gefallen), auf dem alle Gruppen mittelalterliche Tänze aufgeführt haben. Während wir erst einen halben Tag vorher erfahren haben, dass wir überhaupt teilnehmen sollen, haben alle anderen schon Tage vorher dafür geübt. Und wie immer wenn Russen einmal nicht improvisieren sondern etwas planen, ist es eine bombastische Inszenierung geworden: Die jüngsten haben sich ihre Prinzessinenkleider von den Eltern anliefern lassen, eine Gruppe hat eigens mit einer Choreografin gearbeitet, die russischen Teamleiter, die schon länger informiert waren, hatten ihre Ballkleider mitgebracht, die teilweise echt an Barbie-Kleider erinnert haben (nicht wirklich Mittelalter). Nur wir Lehrer hatten natürlich weder Kleider noch eine Choreographie. Nach einem Nachmittag Dauerprobe und Wühlen im Kostümraum des Camps haben wir dann allerdings die beste Vorführung des Abends hingelegt - der Saal hat getobt! :) 
Die besten Lehrer! Nach unserem Auftritt beim Weihnachtsball (v.l.n.r: Maria, Makasa, ich, Lewis, Mael, Kevin, Teilnehmer, der ins Bild gelaufen ist)
Die Teilnehmer des Camps kamen größtenteils aus reichen Familien. Das hat man schon an der Kleidung erkannt und daran, dass ihre Sprachkenntnisse ziemlich gut waren, was normalerweise ein Zeichen dafür ist, dass sie privaten Sprachunterricht neben der Schule erhalten. Ganz klar geworden ist es mir allerdings, als ich gehört habe, wie viel Geld ihre Eltern dafür bezahlen, damit sie an dem Camp teilnehmen dürfen: 10000 Rubel (ca. 250€) für sieben Tage! Und dafür haben die Kinder dann das grauenhafteste Essen vorgesetzt bekommen (siehe vorheriger Beitrag). An einem Tag war das Thema des Unterrichts "Berufe". Ich hatte ein schönes Vokabelblatt vorbereitet mit allen möglichen Berufen und Bildern dazu - die wichtigsten Berufe für meine Kinder waren allerdings nicht darauf. Ich habe nämlich alle gefragt, was ihre Eltern arbeiten. Die häufigsten Antworten waren "Präsident", "Vize-Präsident" und "Direktor". Ein paar "Anwälte" und "Ärzte" gab es auch noch. Ach ja, und jede Menge "Hausfrauen" und "Papas Sekretärinnen".
Durch die gemeinsamen Proben sind wir Lehrer praktisch zu einem richtigen Team 
zusammengeschweißt worden. Und auch mit den Teamleitern haben wir uns trotz Sprachproblemen ganz gut verstanden. Eine Nacht haben wir während des Camps gefeiert. Zu meiner Überraschung mit Wodka und Kognak und das unter Teilnahme der Camporganisatorin. Nach Campende gabs für alle Mitarbeiter eine Runde in der Campeigenen Banja (mit Swimming-Pool!). Und in den Wochen danach haben wir uns noch ein paar mal wieder getroffen und Martin hat angefangen der einen Teamleiterin Englischunterricht zu geben.
Im Sommer wird das Camp zwei mal durchgeführt und dauert jeweils zwei Wochen. Wahrscheinlich werde ich auch einmal wieder mitarbeiten.


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