Montag, 19. Dezember 2011

Lost in Translation

Russland ist kein Land der Fremdsprachen.
Warum soll man auch eine Fremdsprache lernen, wenn im eigenen Land um die halbe Welt reisen kann und im eigenen Sprachkreis durch halb Europa.
Was für die Russen ziemlich praktisch ist, ist für uns als Ausländer, die kein Russisch sprechen, ziemlich anstrengend. Bei Chance in den Jugendhäusern spricht niemand Englisch und selbst unser Koordinator Yuri spricht nur gebrochen Englisch. Wir sind also immer darauf angewiesen, dass entweder Martin übersetzt oder wir uns in gebrochenem Englisch und noch gebrochenerem Russisch unterhalten können. Wenn wir uns ohne Martins Hilfe unterhalten, kommt es häufig zu Missverständnissen, die teilweise recht witzig sind. Ein besonders schönes Missverständnis verdanken wir Zhenya, dem besten Freund von Yuri, mit dem wir viel Zeit verbringen. Zu Zhenyas Verteidigung muss man sagen, dass er erst im Juli angefangen hat Englisch zu lernen - und gleichzeitig Französisch - und mittlerweile fast fließend Englisch spricht. Er hat nie einen Sprachkurs besucht, sondern sich alles nur selbst beigebracht durch Sprechen und Zuhören. Seine Grammatik ist zwar teilweise etwas verquer, aber die wird auch immer besser. Ich habe das Gefühl, dass er durch jeden Moment, den er mit uns Englischsprechern verbringt, spürbar besser wird. Er hat ein unhemlich gutes Wörtergedächtnis und ist wahrscheinlich eines der größten Sprachtalente, die ich je getroffen habe, und er ist sich selbst dessen gar nicht bewusst.
Zhenya - ein unheimliches
Sprachtalent, aber manchmal
eben doch lost in translation.
Von Zeit zu Zeit überschätzt man seine Englischfähigkeiten dann aber doch, wie in besagter Situation, die geschrieben wahrscheinlich nicht so gut rüberkommt, wie in der Realität.
Kevins Uralt-Nokia-Handy ist kaputt gegangen und da er in elektronischer Hinsicht etwas inovationsscheu ist, wollte er es reparieren lassen. Da Zhenya alles und jeden in Togliatti kennt, hat Kevin sich mit seinem Problem an ihn gewandt: "Zhenya, I have a problem and I need your help" - "Yes?" - "My cell phone (Handy) is broken." Daraufhin hat Zhenya ihn mit dem mitleidigstem und entgeistertstem Blick angesehen und gefragt: "What?!? Your Self (dein "Ich") ist broken ?!?"
Ich bin mittlerweile ganz gut darin, solche Übersetzungsbarrieren zu deuten, und habe Zhenya nach meinem ersten Lachanfall schnell klar gemacht, dass Kevin ihn nicht als Psychiater engagieren will sondern dass es nur um sein "mobile phone" geht.

Essen Teil 2: закуска (Sakuska)

Meine Freude war riesig groß, als ich zum ersten Mal im Supermarkt die Aufschrift закуска (Sakuska) entziffert hatte. Das Wort erinnerte stark an meinen allerliebsten Brotaufstrich aus Rumänien - Zacuscă. Das ganze sah dann aber doch nicht ganz so aus wie mein Zacusă und später musste ich mir von Russen erklären lassen, dass Sakuska die allgemeine Bezeichung für Snack ist - also alles, was man zu einem Glas Bier oder Wodka dazu isst.
Ich habe mittlerweile einiges in der Hinsicht kennengelernt und ich muss sagen, dass die Russen in dieser Hinsicht echt einen sonderbaren Geschmack haben.
Das Leckerste, was ich bisher entdeckt habe, ist "Bierkäse" (so habe ich ihn getauft, weil wir ihn immer essen, wenn wir Bier trinken). Dabei handelt es sich um einen faserigen weißen Käse, der in Strähnen geflochten wird und dann geräuchert wird. Man schneidet ihn auf und isst die einzelnen Strähnen - klingt wahrscheinlich ziemlich eckelig, ist aber total lecker, weil ziemlich salzig.
"Bierkäse" geflochten
 Aufgetrennt, wie er gegessen wird
 Das war es dann aber auch schon mit leckeren Sachen. Besonders abstoßend finde ich die Fischsnacks, die hier sehr häufig sind - getrockneter, gesalzener Fisch. Sprotten, Stücken von Hering oder Kalamaris. Ich habe sowas vor einigen Jahren schon mal probiert und nicht gemocht, aber ich dachte ich gebe der Sache noch mal eine Chance. Wir haben also Heringsstücken (glaube ich) und Kalamaris gekauft - und ich habe nicht mal ein halbes Heringsstück geschafft. Die Kalamaris liegen heute noch ungeöffnet in unserer Küche.
Unsere übriggebliebenen Kalamaris

Getrockneter Fisch im Ganzen

Fischstücken
Recht sonderbar finde ich auch den russischen Chips-Geschmack. In Deutschland gibt es ja seit Neuestem auch die eine oder andere Geschmacksrichtung, die ich nicht so ganz nachvollziehen kann (Currywurst), aber die Russen haben noch mal interessantere Varianten dabei. Ich habe zwar noch keine davon probiert, hatte aber meinen Spaß dabei, sie alle im Supermarkt zu fotografieren. (Zum Vergrößern anklicken)
Zwiebeln mit Schmand - noch recht normal
Schaschlik

Kaviar
Pilze und Schmand

Krebs
Schaschlik die 2.

Tomate-Mozzarella





Sonntag, 18. Dezember 2011

Goodbye Vanya

Am letzten Montag habe ich eine denkwürdig Nacht verbracht. Wahrscheinlich werde ich davon noch in zwanzig Jahren als witzige Anekdote aus meiner Zeit in Russland berichten. Wenn ich all das, was passiert ist, in der Intensität beschreiben würde, mit der ich es erlebt habe, könnte ich wahrscheinlich einen Roman damit füllen, deshalb werde ich hier nur sehr oberflächlich schreiben und den Rest vielleicht irgendwann mal in lustiger Runde erzählen.

Wir haben in den letzen Wochen häufiger was mit einigen russischen Freiwilligen von Chance unternommen. Ein ziemlich bunter Haufen von witzigen und offenen Menschen. Während die Freunde, die wir bis dahin so kennengelernt haben, dem Alkohol eher negativ gegenüberstanden, erfüllen diese Freiwilligen jedes Vorurteil, dass man in der Hinsicht über Russen haben kann. Partys in ihrem Kreis übertreffen, wie ich feststellen musste, sogar Sandbostler-Dorf-Großevents (Minstedter Woche, Pfingsten etc.). Zumindest, was den Alkoholkonsum angeht.
Ein paar von den Leuten, die an dem Abend beteiligt waren. In ihrer Freizeit
treten sie mit einer Feuershow in Clubs auf, die wir vorletzte Woche
gesehen haben. Vanja, unser Gastgeber ist der zweite von links.
Einer dieser Freiwilligen, Vanja, muss ab sofort seinen Militärdienst ableisten. Er wird dafür für ein Jahr nach Moskau gehen, was bedeutet, dass er ab sofort eine Tagesreise von Togliatti entfernt wohnt. Er hat uns zu seiner Abschiedsfeier eingeladen mit der Warnung, dass wir uns für den nächsten Tag Nichts vornehmen sollten. Ich habe erwartet, dass es ein großes Besäufnis wird, aber die Realität hat meine Erwartungen bei Weitem übertroffen.
Martin und ich sind alleine auf die Party gegangen, weil Kevin zu der Zeit in Nizhni Novgorod war. Vanjas Familie wohnt in einem kleinen Haus am Rande der Stadt. Und ohne jetzt unverschämt sein zu wollen: Es ist der dreckigste Ort, an dem ich je war. Kevin hat es ganz elegant ausgedrückt: "Es ist beeindruckend wie grundsätzliche Sauberkeitsbedürfnisse bei den Menschen auseinanderklaffen können." Als wir um 1 Uhr Nachts angekommen sind, waren schon alle betrunken. Zwei Männer (einer davon glaube ich Vanjas Vater) lagen die ganze Zeit über bewusstlos/schlafend auf dem Sofa, Dima, ein 17-jähriger Freiwilliger, hat mich nur mit schielendem Blick angesehen, umarmt und ist dann ins Schlafzimmer gegangen. Vanja, unser Gastgeber, war total heiser und hat die ganze Zeit anzügliche Witze gemacht. Leider war sein Englisch gut genug, dass er die auch für mich übersetzen konnte. Dann waren da noch die beiden Nazis. Als ich angekommen bin, haben sie sich schnell ihre T-shirts angezogen (wie taktvoll gegenüber der Deutschen), aber ich habe noch mitbekommen, dass ihre ganzen Oberkörper mit Hakenkreuzen tätowiert waren. Ich, blond, blauäugig und vor allem deutsch, war von da an das Ziel ihrer geballten Charme-Offensive. Die Tatsache, dass der eine gelispelt hat und der andere vor lauter Alkohol geschielt hat, hat die Sache allerdings ganz witzig gemacht. Und ständig haben irgendwelche Leute angefangen sich sinnlos zu prügeln. Meistens ist Vanja, der ein echter Schrank ist, dazwischengegangen. Zwischen alledem war noch Vanjas Freundin, die ständig den Tränen nahe war, weil ihr Liebster sie jetzt für ein Jahr verlassen muss.
Es waren auch Leute da, die nicht ganz so besoffen waren. Nikita und seine Freundin Nastya habe ich an dem Abend erst kennengelernt. Er hat sich die ganze Zeit für alles entschuldigt: Dass alle so besoffen sind, dass man mir immer wieder mit Nachdruck eine große Schüssel mit Fleisch angeboten hat, dass alle um 3 Uhr angefangen haben lauthals die Nationalhymne zu singen etc. Valentin, einer von den Freiwilligen, und ich haben festgestellt, dass wir beide Kollegen sind - als Teamer in Jugendcamps. Und ein bisschen was getrunken habe ich auch - selbstgebrannten Wodka, Samogon. Aber ich habe mich zurückgehalten, weil wir unseren nächsten Tag natürlich nicht frei von Arbeit halten konnten.
Um 5 Uhr morgens ist Vanja in einen komatösen Zustand verfallen. Sie haben vier Leute gebraucht um ihn aus dem Bad aufs Sofa zu tragen.
Morgens um sechs sind so langsam alle wieder aufgewacht. Es gab noch ein Butterbrot (das Wort benutzen die hier wirklich) zum Frühstück. In der total chaotischen Küche habe ich zwischen dreckigen Geschirr und gammeligem Essen ein Gewehr entdeckt, einfach so an den Tisch gelehnt.
Um 7 Uhr gings dann los zum Busbahnhof. Dort angekommen habe ich dann festgestellt, dass wir nicht die einzigen waren, die jemanden verabschiedet haben. Es waren unheimlich viele betrunkene, feiernde Menschen da, die jemanden verabschiedet haben. Ich habe im Nachhinein erfahren, dass es eine russische Tradition ist, sich so in den Militärdienst zu verabschieden. Es gibt sogar ein eigenes Wort dafür. Wir haben dann mehr als eine Stunde in eisiger Kälte verbracht, mehr Alkohol getrunken, Fotos gemacht, gesungen und Vanja in die Luft geschmissen (!) bis er dann endlich auf das Militärgelände gelassen wurde.
Danach sind alle nach Hause gegangen bis auf Martin und ich. Wir sind direkt weitergefahren zur Arbeit, wo wir ein Radiointerview geben mussten. Ich habe mein Schlafdefizit bis heute noch nicht aufgeholt, aber das lässt sich verschmerzen bei so einer Nacht.

Sonntag, 11. Dezember 2011

Teekultur in Russland

Auf speziellen Wunsch von Sabine (meine Tante), beginne ich heute eine (geplante) Reihe von blog-Einträgen über russisches Essen, mit einem Bericht, den ich schon seit langem geplant habe: Russische Teekultur.

Die Wörter, die man in einer fremden Sprache zuerst lernt, sagen oft viel über ein Land aus. Ich kenne zum Beispiel mittlerweile viele Wörter, die im Zusammenhang mit Winter stehen: зима (Winter), холодно (kalt),
каток (Eisbahn) etc. Zuallererst (nämlich schon nach einer Woche) konnte ich allerdings alle Wörter, die im Zusammenhang mit Tee stehen. Und das hat einen Grund: Die Russen sind das Tee-verliebteste Volk, das ich je erlebt habe. Sobald wir in den ersten Wochen irgendwo angekommen sind, wurde uns Tee angeboten. Selbst an den heruntergekommensten Orten und in den kargsten Büros scheinen immer noch irgendwo ein Wasserkocher und genug Teetasen für zehn Gäste vorhanden zu sein. Bekommt man Tee angeboten, muss man ja sagen, und anschließend wird ein gigantischer logistischer Prozess in Gang gesetzt. Zuerst werden die Teetassen gebracht und das Wasser im Wasserkocher aufgesetzt und dann wird alles erdenkliche Essbare, dass sich irgendwo in greifbarer Nähe befindet, herangebracht. Meistens handelt es sich bei dem Essen um vollkommen übersüsste Süssigkeiten, wenn man Glück hat bekommt man irgendein Gebäck. 
Getrunken wird in der Regel schwarzer Tee, häufig aber auch grüner Tee. Der Tee wird auf eine sehr interessante Art und Weise zubereitet. In einer kleinen Kanne wird zunächst ein sehr starker Tee zubereitet, der dann auf mehrere Tassen verteilt wird und mit heißem Wasser aus dem Wasserkocher verdünnt wird. All die staubigen kleinen Partikel werden damit größtenteils aus dem Tee rausgefiltert. Ich denke, das erklärt sich aus der Tradition mit dem Samowar, der ja nach dem gleichen Prinzip funktioniert.
Mir wurde jetzt im Nachhinein erklärt, dass man in Russland unerwarteten Gästen Tee anbietet. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass wir besonders in den ersten Wochen so viel Tee bekommen haben. Mittlerweile hat das ganze nämlich etwas nachgelassen. Dennoch trinke ich aber immer noch viel Tee und kaum noch Kaffee.
Die Teevernarrtheit geht sogar so weit, dass man Tee in den Zügen trinken kann. In jedem Wagon in den Schlafwagenzügen befindet sich ein Samowar. Wer eine Tasse dabei hat, darf umsonst Tee trinken. Deshalb habe ich mir in Moskau auch für die Rückfahrt nach Togliatti auch eine wunderschöne I love Russia Tasse gekauft.

Nachtrag zur Wahl

Da habe ich gerade meinen blog-Eintrag darüber veröffentlich, dass die Menschen hier eigentlich eher uninteressiert an politischen Geschehnissen sind, und schon kann ich mich nicht mehr vor politischen Diskussionen retten. Egal wo ich in den letzten Tagen war, immer wurde über Politik diskutiert. Es scheint wirklich so, als würde jetzt aller politischer Frust aus den Menschen rauskommen, der sich vor den Wahlen aufgestaut hat.
Ein Ausdruck, den ich von mehreren Seiten gehört habe, ist "MedwedPut Company". So wird hier scherzhaft die intensive Männerfreundschaft zwischen Medwedew und Putin bezeichnet inklusive all ihrer Nebeneffekte auf die russische Demokratie und den Staat. Jeder, der über die Wahlen spricht, hat eine andere Partei als Edinaja Rossia gewählt, und alle sagen auch, dass sie niemanden kennen, der sie gewählt hat. 
Auf die Demonstration in Togliatti bin ich wie angkündigt nicht gegangen. Ich hätte auch, selbst wenn ich gewollt hätte, überhaupt keine Zeit gehabt, weil ich an der Schule gearbeitet habe. Martin und ich waren allerdings heute Abend auf einer Feier bei Bekannten und dort war jemand, der auf der Demo war und Videos gemacht hat. In diesen Videos sieht es nach ca. 500 Demonstranten aus, die wie er sagt 1,5 Stunden vor dem Rathaus demonstriert haben.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Über die Wahlen in Russland

Ich wurde mittlerweile schon von mehreren Seiten gefragt, was ich denn über die Wahlen in Russland denke. Um es ganz ehrlich zu sagen: Ich glaube in Deutschland sind die russischen Wahlen ein viel größeres Thema als hier in Russland. Und ich meine damit nicht nur in den Medien, sondern auch bei den Leuten selbst.
Die meisten Russen, die ich kennengelernt habe, scheinen politisch nicht interessiert zu sein, obwohl viele von ihnen gesellschaftlich sehr engagiert sind. Ich glaube es ist ihre Art der Abwehr gegen ein korruptes und abgehobenes politisches System, sich einfach komplett dem privaten und lokalem Engagement zuzuwenden. Wenn man mit den Menschen über Politik reden will, muss man selbst das Thema anschneiden. Von sich aus fangen sie nicht mit diesem Thema an, es sei denn, sie wollen von einem wissen, wie die gesamte Putin-Medwedew-Tauschaktion im Ausland bewertet wird. Allerdings lassen alle, und damit meine ich wirklich alle, die ich kenne, hintergründing anklingen, dass sie die aktuelle politische Lage, kritisch sehen bzw. nur noch ein müdes Lächeln dafür übrig haben.
Vor der Wahl war hier nicht wirklich etwas von Wahlkampf zu sehen. Единая Россия (Putins Partei) hat ein paar große Plakate aufgehängt, auf denen leere Floskeln zu lesen waren. Im Allgemeinen haben sie glaube ich eher darauf abgeziehlt, die Menschen überhaupt zur Wahl zu bewegen. Dass sie die Wahl gewinnen würden, wussten sie ja schon vorher. Die einzige Partei, die ich je beim Flugblätter verteilen gesehen habe, waren die Kommunisten. Und die sind, wenn ich es richtig mitbekommen habe, auch die stärkste Kraft hier in Togliatti geworden. Aber insgesamt hatte das alles nichts gemein mit dem Wahlkampf, den ich aus Deutschland kenne, oder sogar aus Cluj, wo im Wahlkampf die ganze Stadt mit orangen, gelben und roten Plakaten gepflastert war.
Aufruf zur Mahnwache in der vkontakte-
Gruppe. Ich hoffe dafür wird mein blog
jetzt nicht gesperrt.
Nach der Wahl scheint es, als ob die Russen genauso überrascht über das Ergebnis sind, wie die westlichen Medien. In den russischen Medien wird natürlich nichts über die Proteste in Moskau berichtet, aber auch hier gibt es social networks. Es scheint tatsächlich so, als ob die Proteste nicht nur auf Moskau beschrenkt sind. Wir sind gestern im russischen facebook (vkontakte.ru) auf eine Gruppe gestoßen, die sich "Togliatti gegen Wahlbetrug Einiges Russland" nennt, und die relativ viele Mitglieder hat (über 3000). Diese Gruppe plant am 10. Dezember eine "Mahnwache" vor dem Rathaus in Togliatti. Eine social-network-Gruppe bedeutet zwar noch nicht viel, aber heute habe ich mitbekommen, wie sich zwei Leute über diese Mahnwache unterhalten haben, und ich habe mich in das Gespräch eingeklinkt. Sie haben gesagt, dass sie einen masiven Polizeieinsatz bei der Demo erwarten. Somit steht für mich auch schon fest, dass ich mich der ganzen Sache leider nicht nähern werde, da ich immer noch auf die Verlängerung meines Visums warte. Auf dem on-arrival-training wurde uns geraten, uns von jeglicher Demonstration fernzuhalten. Anscheinend wurden irgendwann in den letzten Jahren mal ein paar Freiwillige ausgewiesen, weil sie für den Schutz der sibirischen Tiger (oder so) demonstriert haben. 
Ich werde die ganze Sache aber bestimmt weiter beobachten und bin jetzt schon sehr gespannt auf die Präsidentschaftswahl im März und einen vielleicht ja mal etwas hitzigeren Wahlkampf.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Mein erster Tag als Lehrerin

In den letzten Wochen bin ich leider sehr selten zum Schreiben gekommen, weil wir eigentlich dauerhaft irgendwo eingespannt sind. Vielleicht schaffe ich es irgendwann einmal über meine ganzen Erlebnisse zu schreiben. Es war viel interessantes dabei - von Pressekonferenz bis zu Feuershows :). Jetzt kommt allerdings erstmal ein Bericht über meine heutigen ersten Tag an der школа 93 (93. Schule - die sind hier bei der Namensgebung der Schulen nicht so kreativ).
Es war schon seit Wochen geplant, dass wir hier an der Schule Englisch und Deutsch unterrichten sollen. Mitte November hatten wir ein erstes Gespräch mit dem Schulleiter, eine der Englischlehrerinnen treffen wir praktisch wöchtenlich und einiger der Schüler sind auch in unserem LingVoClub (der Englisch-Klub, den wir zwei mal pro Woche verantstallten). Eigentlich sind das alles perfekte Vorraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit, aber eine Sache ist mal wieder dazwischen gekommen: Die russische Unorganisiertheit!
Eigentlich wollte uns eine der Englischlehrerinnen schon im November die Themen per email schicken, die in den Lehrbüchern behandelt werden, damit wir uns darauf vorbereiten können und unsere eigenen Themen darauf abstimmen können. - Die email kam natürlich nie an.
Am letzten Samstag sollten unsere ersten Stunden sein. Nach dem normalen Unterricht. Nur leider hat man wahrscheinlich vergessen den Schülern bescheid zu sagen, weshalb nur ca. 15 Leute da waren.
Bis Montag wollten uns die Lehrerinnen einen genauen Plan schicken, was wir in den nächsten Stunden machen sollen bzw. wann die Stunden überhaupt anfangen sollten. Als am Dienstag immer noch keine email da war, obwohl am Mittwoch die nächsten Stunden sein sollten, sind wir doch etwas unruhig geworden. Auf unsere Nachfrage kam dann gestern Abend um 9 Uhr eine email an, die in ungefähr folgende Aussage hatte: Macht bitte den ganzen Vormittag über was ihr wollt, mit wem ihr wollt, in welcher Sprache ihr wollt und zu euren Themen. Aber es wäre schön, wenn ihr etwas vorbereiten könntet... Wir haben dann beschlossen uns einfach mal an russiche Verhältnisse anzupassen und nichts vorzubereiten. (Im Nachhinein kann ich sagen, dass es die richtige Entscheidung war. Im Allgemeinen kann man Russland glaube ich als das Land der Improvisation bezeichnen. Jede Vorbereitung wird zunichte gemacht, weil eigentlich nie das geschieht, was man erwartet.)
Englischunterricht im Lehrer-Konferenzzimmer unter den wachsammen Blicken von Dima und Wowa (Beide sind in diesem Fall geknüpfte Teppiche und dem Putin haben sie mehr Haare geknüpft, als er tatsächlich hat (oder er hängt dort einfach schon zu lange...) Wir haben uns schon gefragt, was nach den Präsidentschaftswahlen pasiert. Ob dann wohl  Medwedew wieder neben dem Feuermelder hängen muss? Im Flur steht in vierfacher Lebensgröße auch noch eine Lenin-Büste, aber der hat jemand einen Kaugummi in die Nase geklebt.)

Nach dem ganzen Vorlauf ist der Tag dann doch ganz gut verlaufen. Wir waren von morgens um 10.00 Uhr bis Nachmittags um 15.00 beschäftigt und haben nacheinander verschiedene Unterrichtsstunden besucht. Russische Schulen sind immer Gesamtschulen, was bedeutet, dass ich heute sowohl 17-jährige Englisch-Schwerpunktschüler als auch zehnjährige Deutschschüler unterrichtet habe. Die Themen reichten dementsprechen auch von bevorzugten Musikrichtungen bis hin zu Красная Шапочка (Rotkäppchen).
Das wir uns nicht vorbereitet haben war ganz gut, da ein Großteil der 40-minütigen Stunden für die Vorstellung draufgegangen ist. Als Martin einen der eingeschüchterten 17-jährigen Schüler gefragt hat, was er nach der Schule machen möchte, habe ich aus meiner deutschen Erfahrug heraus innerlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gedacht: "Nein, Martin! So etwas kann man doch keinen Schüler kurz vor seinem Abschluss fragen!" Zu meiner Überraschung kam dann aber wie aus der Pistole geschossen die Antwort, dass er Ingenieurswesen studieren will. Und im Laufe eines Tages mit vielen Vorstellungsrunden musste ich feststellen, dass russische Schüler anscheinend tatsächlich mehr Probleme damit haben, ihr Hobby zu wissen, als zu sagen, was ihre Zukunftspläne sind. 
Zu einem Tag in einer russichen Schule gehört natürlich auch das Essen in der Kantine (für uns sogar vegetarisch), für das alle nur 15 Minuten Zeit haben. Und die Benutzung der Toiletten... Leider... Die haben nämlich in russischen Schulen generell keine Türen...