Donnerstag, 26. Januar 2012

Essen Teil 3: Kantinen

Seit ich hier bin, esse ich ziemlich häufig in Kantinen. Weil es günstig ist oder weil mir nichts anderes übrig bleibt.
Mein eindeutiger Favorit ist die Mensa der Uni. Es gibt eine große Auswahl an traditionellem russischen Essen, so dass man sich für wenig Geld ein leckeres Menü zusammenstellen kann.
Worunter ich echt leide, ist das Schulessen. Es gibt in Russland Ganztagsschulen und deshalb auch Schulverpflegung. Da auch wir ganze Tage an unserer Schule verbringen, ist es leider die einzige Möglichkeit Nahrung zu sich zu nehmen. Die Versorgung läuft hier anders als ich es zum Beispiel noch aus Frankreich in Erinnerung habe. Dort gab es um die Mittagszeit eine lange Pause (2 Stunden) für alle Schüler, in der gegessen werden konnte. Hier müssen die Schüler in den regulären Pausen essen. Und die regulären Pausen dauern für gewöhnlich 15 Minuten. Eine Jahrgangsstufe nach der anderen wird durch den Speisesaal geschleust, beginnend mit den jüngsten bis hin zu den ältesten. Interessant ist dabei die Organisation: Aus den verschiedenen Klassen werden vor dem Essen einzelne Personen entsandt, die den Speisesaal vorbereiten - Besteck und Essen auf den Tischen verteilen - und am Ende alles wieder sauber machen. Dann bringen die Klassenlehrer ihre Klassen zur "Fütterung" und anschließend werden dann noch kurz die Hände gewaschen bevor es weitergeht mit dem Unterricht.
Das typische Schulessen besteht aus einem Glas lauwarmen schwarzen Tee mit Unmengen an Zucker oder ein Glas Kompott, Suppe, einer Portion Reis/Nudeln/Kartoffelpüree/Gretschka (Buchweizen) mit Hackfleisch oder Geschnetzeltem und einer kleinen Portion in Öl-getränktem Krautsalat. Die Suppe verdient den Namen Suppe nicht wirklich, weil den Verdacht habe, dass es nur eine Mischung aus warmen Wasser und Sonnenblumenöl ist, in die irgendwer ein bisschen Kohl oder Pilze geschmissen hat. Die einzige Suppe, die wirklich Geschmack hat ist Fischsuppe, aber das ist ein Geschmack, auf den ich verzichten könnte. Das gute ist, dass selbst die fleischreichsten Suppen (z.B. Soljanka) so vegetarisch sind, dass selbst ich sie esse. Beim "Hauptgang" bin ich immer hin und hergerissen zwischen Ärger, dass ich kein Fleisch esse und dadurch eine noch kleinere Portion bekomme, und Erleichterung, dass ich die undefinierbare Masse, die das Fleisch darstellen soll, nicht essen muss. Lichtblicke sind immer das Brot und manchmal das Dessert. Das Brot ist recht frisch und man kann so viel essen wie man will, was ich dann auch mache, und das Dessert ist meistens irgendein süßes Gebäck, was von Zeiten echt lecker sein kann.
Das hört sich jetzt alles recht schlimm an. Und das ist es auch. Solange es nur zwei mal pro Woche in der Schule ist, ist das Essen tollerierbar, aber während meines Sprachcamps (Beitrag folgt demnächst) gab es eine Woche lang nur solches Essen - morgens, mittags und abends. Ich dachte nach zwei Wochen Bundeswehressen im Sommer, kann ich mich an alles gewöhnen, aber das war echt der Härtefall. Morgens gabs wahlweise Haferschleim oder Cornflakes und überbackene Wurstbrote (der Begriff "Butterbrot" wird übrigens auch im Russischen verwendet) und Mittags und Abends besagtes Kantinenessen. Zu allem Überfluss wurden im Speisesaal noch verdächtig häufig Kakerlaken gesichtet (таракан - Tarakan ist dementsprächend auch das einzige neue russische Wort, dass ich in der Zeit gelernt habe). Nach vier Tagen  bin ich dazu übergegangen das Frühstück ganz ausfallen zu lassen und vom Mittag-/Abendessen habe ich immer nur ein paar Bissen gegessen. Ich habe mich praktisch von Brot, dem Zucker im Tee, den Desserts und dem Kefir, der Abends an alle Kinder verteilt wurde, ernärt. Ich hasse Kefir! Ich habe also Essenstechnisch echt gelitten - und ich war nicht die einzige. Allen Lehrern und Teamleitern ging es so, zumal es im Umkreis von mehreren Kilometern keine Einkaufsmöglichkeit gab. Die Kinder habend sich laufend Essen liefern lassen. Von ihren Eltern oder einem Pizzalieferdienst, so dass man in den Gängen die ganze Zeit über Pizza riechen konnte.

Edit: Ich habe mir gerade noch einmal alles durchgelesen und ich habe das Gefühl, dass man mich irgendwie für verwöhnt halten könnte, zumal die russischen Kinder das ja ihr ganzes Leben aushalten. Das Entscheidende ist glaube ich, dass es unterschiedliche Essensauffassungen sind, die hier aufeinanderprallen. Wenn ich mir selbst Essen koche, muss es geschmackvoll und abwechslungsreich sein. Im besten Fall ist es auch noch gesund. Das Kantinenessen soll lediglich einen Zweck erfüllen: Möglichts schnell ernähren. Deshalb gibt es wahrscheinlich auch so wenig Gemüse und dafür viele Kohlenhydrate und deshalb ist wahrscheinlich so viel Zucker im Tee (es ist unglaublich wie satt so ein Glas Tee machen kann). Für eine Mahlzeit am Tag kann ich mich damit arrangieren, aber nicht sieben Tage lang jede Mahlzeit.

Eisbaden

Ich habe es tatsächlich getan! Allerdings gibt es keinerlei Fotos oder Videos, also wird jeder selbst die Glaubhaftigkeit meiner Geschichte einschätzen müssen.
Am 19. Januar um 0.30 Uhr haben wir uns auf den Weg an die Wolga gemacht. Außentemperatur: ca. -10° C. Wir, das waren Kevin, Yuri, Zhenya und ich. Martin hatte noch "zu viel zu tun" (nette Ausrede). Tatsächlich waren wir nicht die einzigen, die so ein verrücktes Vorhaben gestartet haben. Togliatti liegt nicht direkt an der Wolga, wie Städte im klassischen Sinne an Flüssen liegen (Hamburg, Berlin, Moskau etc.). Es liegt vielmehr neben der Wolga und zwischen beiden befinden sich mehrere Quadratkilometer Wald (die grüne Zone). Durch diese grüne Zone führt eine Straße, die normalerweise nur als Transitstrecke zwischen den Stadtteilen benutzt wird. In dieser Nacht haben am Rand der Straße überall Autos geparkt, von Menschen, die Eisbaden wollten.
Auch wir haben unser Auto an der Hauptstraße stehen lassen und haben uns an den Abstieg an die Wolga gemacht. Unten am Flussufer angekommen haben wir erst mal schadenfroh all diejenigen betrachtet, die mit ihrem Auto direkt bis ans Ufer fahren mussten und jetzt auf den kleinen Seitenwegen natürlich in endlosen Staus standen. Kurz darauf mussten wir allerdings selber warten. Die Polizei hat nämlich immer nur eine gewisse Anzahl an Personen aufs Eis gelassen - der Rest musste warten. Nach einer halben Stunde Wartezeit in eisiger Kälte durften wir endlich aufs Eis.
Blick auf die Wolga bei Tage

Das Eisloch selbst war ungefähr 1,5 x 2 m groß. Letztendlich war es dann natürlich doch nicht kreuzförmig, sondern es stand nur ein Kreuz davor. In das Loch herein hat eine Treppe geführt und außen herum standen Tannenbäume als Windschutz. Das ganze schön beleuchtet und nebenan noch ein Zelt - zusammen mit den ganzen Leuten ist fast ein bisschen Volksfeststimmung aufgekommen (zumal viele der Leute sich schon etwas Wärme angetrunken haben).
Wie im tiefsten Sibirien :)
Als ich mich erst einmal ausgezogen hatte, ging es ganz schnell. Normalerweise sollte man in das Eisloch steigen und drei mal komplett untertauchen. Einige haben das auch sehr exzessiv praktiziert (eintauchen, unzählige Male bekreuzigen, wieder eintauchen, bekreuzigen usw.). Auf das Kopfeintauchen habe ich verzichtet, weil ich Angst hatte, dass mein Haar dann in kürzester Zeit einfriert und ich stundenlang mit gefrorenen Haaren rumlaufe. Ich bin nur kurz rein und wieder raus. Dem Eisloch entstiegen stellt sich das unglaublichste Gefühl ein. Es ist, als ob der Körper auf einmal auf Hochtouren läuft. Mir war so war, dass ich locker noch eine Weile auf dem Eis hätte rumlaufen können. Das habe ich dann auch erst mal ganz unbedarft gemacht, weil sowohl meine Zehen als auch die Gummiriemen von meinen Flip-Flops steifgefroren waren, weshalb ich nicht in selbige reinschlüpfen konnte. Ich habe also erst einmal eine Runde barfuss auf dem Eis gedreht. Zhenya hat mir nur schnell sein Handtuch hingeworfen "Stell dich darauf!" Als ich halb angezogen war, habe ich festgestellt, dass ich noch meine nasse Badekleidung anhatte, weshalb ich mich nochmals umziehen musste. Aber mir war so warm, dass mir das alles gar nichts ausgemacht hat.
Das Schlimmste an dem Abend war letztenendes der Aufstieg zurück zur Straße. Diejenigen, die vor einigen Jahren mit mir den Aufstieg auf die Turda-Schlucht gemacht haben, wissen um meine Bergsteigerkünste. Jetzt war es zwar nicht Sommerhitze, ich bin mittlerweile etwas besser trainiert und der "Aufstieg" war auch nicht ganz so lang, aber dafür ging es durch tiefen frischen Schnee, ich hatte drei Schichten Kleidung an und war mit drei Leuten unterwegs, die den Berg am liebsten hochgerannt wären - der reinste Horror für mich Flachlandkind.

Mittwoch, 18. Januar 2012

Winter

Mein Laptop ist zur Zeit kaputt und schon seit einer gefühlten Ewigkeit in der Reparatur. Diesen Eintrag schreibe ich von Martins Laptop. Für mich als Internetabhängige ist es eine ganz neue Situation einmal für so lange Zeit komplett ohne Computer auszukommen. Aber ich habe dadurch viel Zeit, mich auf andere, lange vernachlässigte Dinge zu konzentrieren. Ich lese viel, schreibe Briefe (in ca. 3 Wochen dürfen einige Personen mit Post rechnen) und genieße vor allem den ersten richtigen Winter meines Lebens.
Neuschnee die 1.
Die ersten Januarwochen waren hier in Togliatti wettertechnisch der Wahnsinn. Zuerst hat es für zwei Tage leicht getaut, was dazu geführt hat, dass der schon gefallene Schnee in sich zusammengesackt ist. Danach war es für zwei Tage sehr kalt (bis zu -16°) und der zusammengesackte Schnee ist hart und rutschig geworden. Deshalb hat sich jeder nur noch schlitternd vorwärtbewegt, was die ganze Schneefläche natürlich noch zusätzlich zusammengepresst und glattgeschliffen hat. Eine Woche lang war ganz Togliatti eine einzige riesige Eisfläche! Und damit meine ich nicht gefrierende Nässe à la Deutschland (darüber lacht man hier und rast trotzdem noch mit 80 km/h durch die Innenstadt), sondern wirklich Zentimeterdickes Eis, wie auf einer Eislaufbahn. Ich habe bin in dieser Woche garantiert jeden Tag einmal ausgerutscht.
Neuschnee die 2.
Passend zum eisigen Togliatti haben Martin und ich auch eine neue Abendbeschäftigung entdeckt: Schlittschuhlaufen. Hier in Russland muss in der Nähe von jeder Schule eine Eislaufbahn sein, weil im Winter im Sportunterricht Eis- und Skilauf im Sportunterricht auf dem Plan stehen. Da wir in der Nähe einer Schule wohnen, haben wir das Privileg, direkt vor unserer Haustür eine Eislaufbahn zu haben, die noch dazu die ganze Nacht über beleuchtet ist. Martin und ich haben uns schon Ende Dezember Schlittschuhe gekauft, sind aber bisher nicht dazu gekommen, sie auszuprobieren. Am Freitag hat es dann endlich mal geklappt und seitdem waren wir fast jeden Tag eislaufen. Neben den ganzen Kindern, die wie gesagt in der Schule Eislauf lernen, sehen wir aus wie Amateure. Deshalb sind wir dazu übergegangen immer später Abends zu gehen. Gestern sind wir bis um 1 Uhr Nachts eisgelaufen. Noch schlimmer wirken wir allerdings im Kontrast zu Yury und Zhenya. Yuri macht auf dem Eis irgendwelche Break-Dance-Kunststücke und an Zhenya ist ein echter Eiskunstläufer verlorengegangen.
Um den Winter perfekt zu machen schneit es nun seit mittlerweile zwei Tagen ununterbrochen. Die Schneeberge an den Straßenrändern sind mittlerweile weit größer als ich und ich habe schon von mehreren Seiten gehört, dass, falls es so weiterschneit, der Verkehr komplett zum erliegen kommt. Unvorstellbar in dieser Autostadt. Der Schnee erschwert natürlich auch mein neues Hobby: Gestern waren auf der Eislauffläche nur einzelne Gänge, wie in einem Labyrinth freigelegt. Und selbst die mussten wir regelmässig räumen, da sie sonst wieder zu geschneit wären.
Morgen werde ich an einer echten russischen Winter-Tradition teilnehmen. Der Eistaufe. Wenn ich es mit meinem eingeschränkten Russisch richtig verstanden habe, gibt es im orthodoxen Glauben am 19. Januar einen Feiertag, an dem alles Wasser als heilig gilt. Deshalb springen an diesem Tag ins Wasser. Problem: über dem Wasser ist eine Zentimeterdicke Eisfläche. Das heißt ich werde durch ein Loch im Eis in die Wolga springen - und das um Mitternacht - und ich bin nicht die Einzige, sondern es werden noch Unmengen an anderen Menschen dort sein. Eventuell gehen wir davor oder danch noch  in die Banja, aber das steht noch nicht fest. Zuletzt stand auch noch zur Debatte, dass wir in ein Kloster fahren, dass direkt an der Wolga liegt, weil das Eisloch dort angeblich kreuzförmig ist...
Wie man das ganze überstehen soll, weiß ich noch nicht. Aber angeblich ist es im Wasser nicht kalt sondern nur außerhalb.
Schlittschuhlaufen Russian-Style: Rennen im Schneelabyrinth (Der langsame am Anfang ist Martin, die beiden schnellen Yury und Zhenya)

Dienstag, 3. Januar 2012

С Новым годом - Frohes Neues Jahr

Über meine Neujahrsfeier kann ich nur eins mit Sicherheit sagen: Dass sie auf jeden Fall die Längste war, die ich je hatte. Um 12.00 Uhr (Mittags) am 1. Januar bin ich endlich in mein Bett gefallen. Bis dahin bin ich an vielen verschiedenen Orten gewesen.
Angefangen hat alles wie immer in Russland: Etwas chaotisch. Unser Plan war Party-Hopping - eine Idee von Yuri. Anfangen sollte alles mit Essen in unserem Appartment mit Essen, um Mitternacht wollten wir dann zum zentralen Platz in unserem Stadtteil gehen und das Feuerwerk anschauen und dann um ca. 3 Uhr zu einem Freund von Zhenya fahren und dort in die Banja gehen. Banja erst um 3, weil Yuri seinen Lebensunterhalt mit Break-Dancing bestreitet (klingt fantastisch, ist aber wirklich so; und er verdient glaube ich nicht schlecht) und in der Silvesternacht mehrere Auftritte in Clubs hatte. Die Idee mit dem Party-Hopping hat mir ziemlich gut gefallen, weil man dadurch nicht immer an einem Ort festhängt. Allerdings hätte ich mir denken können, dass das in Russland und besonders mit meinen Leuten hier nie so funktionieren würde, wie geplant. Es hat dann auch nicht funktioniert, wie geplant, war aber trotzdem toll. 
Der erste Teil mit dem Essen ist ausgefallen. Stattdessen hat Yuri uns um 10 Uhr abgeholt und wir sind mit zu seinen Auftritten gefahren. War auch ganz interessant, weil man so mitbekommen hat, wie unterschiedlich die Russen so feiern. Und ich bin immer wieder begeistert von Yuris Break-Dance-Künsten. Das ist eigentlich schon eher Artistik mit Saltos und Handständen auf einer Hand etc. Insgesammt hatte er drei Auftritte: Zwei zwischen 11 und halb 1, den letzten um halb 3. Dazwischen war dann tatsächlich noch Zeit, um auf den zentralen Platz feiern zu gehen. Dort war es fast wie auf einem Volksfest mit Karussels, Pony-Reiten und einem riesigen Tannenbaum in der Mitte. Was mich überrascht hat, war das selbst um 1 Uhr noch viele kleine Kinder mit dabei waren. Einer von Yuris Break-Dance-Kindern war auch da und als wenn drei Auftritte pro Nacht nicht genug wären, hat er sich mit dem Kleinen noch einen "Break-Battle" im Schnee geliefert.
Großer Neujahrsbaum am zentralen Platz
Vor dem Baum
(Die weiße Mütze ist übrigens Teil
des Showoutfits)


Irgendwann um 4 Uhr sind wir dann doch noch endlich bei Zhenyas Freund angekommen, der in einem Dorf in der Nähe von Togliatti wohnt. Mein erstes Mal in der Banja war echt toll! Für, alle, die nicht wissen, was das ist: Banja ist eine Sauna mit besonderen Extras. Wir haben über drei Stunden in der Banja verbracht, inklusive zwischendurch rausrennen und sich im Schnee wälzen und mit nassen Eichenzweigen ausgepeitscht werden (das gehört dazu, ist aber ganz angenehm).
Break-Battle im Schnee
Als wir um acht Uhr morgens nach Hause fahren wollten, hat Sonja (mit ihr habe ich komischerweise Weihnachten und Neujahr verbracht, obwohl wir uns sonst gar nicht  so oft treffen) vorgeschlagen, dass wir noch in ihr Appartment fahren könnten und dort einen letzten Party-Hopping-Stop machen. Martin hat gleich gesagt, dass er lieber nach Hause ins Bett möchte, aber Kevin war ziemlich begeistert, weshalb ich mich auch noch breitschlagen lassen habe. Wir sind in zwei Autos gefahren: Ich mit Zhenya und Sonja, die anderen beiden mit Yuri - und natürlich hat Kevin auf der Fahrt festgestellt, dass er doch ganz schön müde ist, und ist dann gleich mit Martin zu Hause ausgestiegen. Ich bin also die letzte Überlebende von uns drei Freiwilligen gewesen, aber wir haben die Feier bei Sonja ruhig mit Tee ausklingen lassen, alle etwas geschädigt von der langen Nacht. Am Ende war ich allerdings überhaupt nicht mehr müde, vielleicht sollte ich öfter ohne Alkohol feiern. Meine liebe Familie sollte übrigens auch mal darüber nachdenken - macht den Tag danach auch wesentlich angenehmer ;)
Die letzten Überlebenden, alle etwas gezeichnet von der langen Nacht und der Banja v.l.n.r: Yuri, Sonja (man sieht auf dem Bild leider nicht so gut, wie lang ihre Haare sind, weil sie sich die drei mal um den Hals gewickelt hat), Zhenya

Montag, 2. Januar 2012

Weihnachts- bzw. Neujahrszeit in Russland – oder: Was bedeuten all diese Drachen?

Für mich war dieses Jahr das erste Weihnachten, das ich nicht zu Hause bei meiner Familie verbracht habe, und es war so unspektakulär-deprimierend, dass ich als Fazit aus der ganzen Sache einfach nur die Hoffnung gezogen habe, dass nächstes Jahr Weihnachten wieder besser wird.
Zu Weihnachtstraditionen in Russland will ich gar nicht viel erzählen. Wer interessiert ist, findet sicherlich selbst genug im Internet. Nur zum allgemeinen Verständnis: Russland ist orthodox. Das heißt, dass Weihnachten am 7. Januar gefeiert wird. Wobei feiern übertrieben ist, weil der 7. Januar wirklich nur ein religiöser Tag ist. Gläubige Menschen verbringen den ganzen Tag in der Kirche und im Fernsehen läuft ein religiöser Erbauungsfilm nach dem anderen. Für alle Nicht-Gläubigen ist es einfach nur ein normaler Tag, an dem frei ist und nichts Gutes im Fernsehen läuft. Die Tatsache, dass Weihnachten lediglich religiös ist, hat dazu geführt, dass es nicht ansatzweise so populär ist wie unser Weihnachten. Der beste Beweis ist, dass ich in der nächsten Woche in einem Sprachencamp für Kinder und Jugendliche mitarbeite, dass sich auch über den Weihnachtsfeiertag erstreckt und an dem ca. 100 Kinder und Jugendliche teilnehmen. Weihnachten wird also nur ein minder wichtiger Feiertag.
Unser Plan: Den Chance Kindern die deutsche Tradition
des Pfefferkuchenhauses nähberbringen...
... und was unsere geliebten ungeduldigen Kinder daraus
gemacht haben. Es wurden dann auch gleich aufgegessen.

Der einzige Feiertag, der ansatzweise mit unserem Weihnachten vergleichbar ist, ist Silvester. Hier gibt es Geschenke, einen Neujahrsbaum, Дед Мороз (Väterchen Frost) kommt mit seiner Enkeltochter Снегурочка (Schneeflöckchen) zu Besuch und es gibt viel zu viel zu Essen. Vorzugsweise Salate mit viel Mayonnaise. Allerdings ist selbst Silvester anders als Weihnachten. Ich weiß, es ist eine ausgelutschte Floskel, aber das tolle an Weihnachten ist die Besinnlichkeit. Die Neujahrsfeiern hier beginnen zwar besinnlich in der Familie mit Essen und Geschenken, enden dann jedoch irgendwann in einer Party. Man verkleidet sich sogar.
Das ist wahrscheinlich der Grund, warum es für Russen schwierig ist nachzuvollziehen, was Weihnachten für uns bedeutet. Die meisten Leute hier wissen alles über Weihnachtstraditionen und den Ablauf der Feierlichkeiten im Westen, aber es ist für sie nur Faktenwissen. So mussten wir hart dafür kämpfen uns die Weihnachtstage frei von Arbeit zu halten und ganz gelungen ist es uns nicht. Am 24. Dezember haben wir an unserer Schule einen Vortrag über Weihnachten in Deutschland gehalten und mussten im Anschluss in traurige Gesichter gucken, als wir um 17.30 Uhr dann doch endlich nach Hause wollten und nicht noch die vierte Tasse Tee trinken wollten. Unsere Freunde schienen auch alle besorgt um uns und haben uns ständig gefragt, wo wir denn am Heiligen Abend feiern. Dass wir einfach nur zu Hause sitzen und die Ruhe genießen wollten, konnte anscheinend niemand nachvollziehen.
Heiligabend verlief dann wie gesagt extrem unweihnachtlich. Martin war zu der Zeit nicht in Togliatti, deshalb waren Kevin und ich alleine zu Hause. Nachdem wir den halben Tag gearbeitet haben, gab es zu Hause Kartoffelsalat (von Kevin gemacht). Nicht ganz mein Weihnachtsessen, aber ich glaube es wäre auch schwierig geworden einen ganzen Puter zuzubereiten. Zumal ich den ja selbst gar nicht esse. Nebenbei musste ich noch dafür kämpfen, dass neben der ganzen über-säkularisierten-DDR-„Traditions“-Weihnachtsmusik auch ab und zu mal ein Lied gespielt wurde, das ich kenne. Neben Kevin komme ich mir immer vor wie eine konservative, religiöse, westdeutsche CDU-Wählerin. Er neigt etwas zur Ost-Verherrlichung. Nachdem mein Internet dann einen Strich durch alle meine Pläne für skype-Gespräche gemacht hat, habe ich festgestellt, dass Besinnlichkeit ohne Familie oder etwas Familienähnlichem einfach nicht funktioniert, und als dann um zehn Uhr Freunde von uns angerufen haben, und gefragt haben, ob wir Lust auf Party hätten,  haben wir zugesagt. Heiligabend hat also in einem Club geendet.
Neujahrsball an unserer Schule - ziemlich professionell, jeder Tanzschulenabschlussball
sieht blass aus gegen so viel Talent (und das meine ich ernst!)

Nachdem unser Weihnachten vorbei war, ging dann praktisch noch mal die Weihnachtszeit los. Und diesmal richtig, wie man es aus Deutschland kennt. Mit Tannenbäumen, Lichterketten, Menschen, die in Supermärkten einkaufen, als wenn der Weltuntergang bevorsteht, und Weihnachtsmusik. Es ist schon sonderbar am 28. Dezember noch Jingle Bells zu hören und Leute mit Weihnachtsbäumen nach Hause laufen zu sehen. Eine Sache, die mir in der Zeit aufgefallen ist, war, das neben den üblichen Weihnachtsfiguren (Djed Maros und Snegurotschka) häufig auch ein Drache abgebildet wurde. Zuerst habe ich mir darüber weiter keine Gedanken gemacht, aber als ich dann die ersten Drachen-Kärtchen, Drachen-Kerzen, Drachen-Figürchen etc. geschenkt bekommen habe, habe ich dann doch mal nachgefragt, was all diese Drachen bedeuten. Mir wurde dann erklärt, dass nächstes Jahr nach dem chinesischen Kalender das Jahr des Drachen ist und dass dem chinesischen Kalender viel Bedeutung zugemessen wird. Ich habe dann noch versucht zu erfahren, warum denn schon zum russischen Neujahrsfest Drachen verschenkt werden, wobei das chinesische Neujahr doch erst Wochen später ist, aber dessen ist man sich in Russland entweder nicht bewusst oder man ignoriert es einfach. Das Jahr des Drachen beginnt am 1. Januar! (Ich bin hier übrigens nur von Co-Tigern umgeben und einer Ratte umgeben :))
Drachen überall, sogar auf der Torte zum Neujahrsball.
(Das Bild ist leider etwas verzerrt)

Ein Bericht über meine Neujahrsfeier folgt demnächst!