Togliatti - 14 Uhr an einem Tag im Juni. Die Luft steht, genauso wie die Marshrutka. Draußen bewegen sich die Menschen gequält über den schmelzenden Asphalt, immer vom einen Schattenplatz zum nächsten sofern dieser nicht schon von einer Horde Straßenhunde belegt ist, die selbst das Hecheln eingestellt haben und wie tot auf dem Boden liegen. Babuschkas mit Strohhut und Kittelschürze - junge Mädchen in shorts und tops - Männer, die nur noch die nötigsten Kleidungstücke tragen (nicht immer ein schöner Anblick).
In der Marshrutka wischt sich die ältere Frau neben mir unablässig den Schweiß mit einem Taschentuch aus dem Gesicht. Ich hätte auch gerne so ein Tuch, denke ich während ich spüre das meine nackte Haut lansam eine Verbindung mit dem Kunstleder der Sitzüberzüge aufbaut. Ein kleiner Junge hat den Kopf zum Fenster rausgehängt. Dann geht es los: Zehn Meter Fahrt - ein Luftzug - Erleichterung. Nur um kurz darauf wieder im Stau zu stehen.
Hier in Togliatti ist jetzt endgültig richtiger Sommer, nachdem der Frühling eigentlich auch schon an den deutschen Sommer herangekommen ist. Tagsüber sind es weit über 30°, nachts kühlt es höchstens auf 20° ab. Arbeiten ist die Hölle, besonders in der Universität, wo die deutsche Fakultät im achten Stock liegen. Selbst der Weg zum Strand ist zu anstrengend. Leider ist ein Besuch an der Wolga immer mit jede Menge Berg- oder Treppe steigen verbunden, da sie tiefer gelegen ist, als die Stadt. Runter gehts, aber hoch ist anstrengen.
Ich sitze also in meiner freien Zeit zu Hause rum und versuche möglichst wenig schweißtreibende Aktivitäten zu betreiben und gleichzeitig meinen Wasserhaushalt auszugleichen. Anfangs habe ich noch ständig geduscht, aber mitlerweile habe ich mich auf höchstens zwei Mal pro Tag beschränkt - es stinkt eh jeder.
Abends bricht dann immer meine Zeit an - Fußballzeit. Aufgrund der Zeitverschiebung fangen die früheren Spiele bei und um 20 Uhr an, die späteren um 22.45 Uhr. Die Späteren verpasse ich also nie. Meistens gucke ich mir die Spiele zusammen mit Mael an, Franzose, der für die Alliance Francaise arbeitet und in Sachen Fußballverücktheitheit an meine Familie zu Hause rankommt. Um uns hat sich mitlerweile ein ganz illustrer Kreis an Leuten gebildet, die ab und zu mitgucken - ein Portugiese, eine Dänin, diverse Russen, von Zeit zu Zeit Kevin. Das zweite Russland-Spiel haben wir in einer Bar gesehen. Zum Eintritt gab es kleine Russlandfähnchen geschenkt und für jedes Russische Tor 50ml Wodka - sind dann ja leider nicht so viel geworden. Man konnte seinen Tipp für den Spielausgang auf einer Tafel angeben. Niemand hat auf Niederlage Russland gesetzt, die meisten auf Kantersiege. Ich habe noch nie auf so sonderbare Art Fußball gesehen. Die Bar hatte extra einen Kommentator eingestellt, der mit Mikrofon die Fans angeheizt hat. Während der russischen Hymne haben alle mit stolzgeschwellter Brust mitgesungen, während der polnischen Hymne hat dann der Kommentator blöde Witze losgelassen. Nach dem 1:0 war Russland schon gefühlt Europameister. (Russland ist eh am besten in allem - das wissen die Russen auch - diese Titelgewinne sind nur dazu da, dass es die anderen auch begreifen). Nach dem Ausgleich kammen dann zunehmend leicht-rassistische Bemerkungen über Polen. Unentschieden war wahrscheinlich das beste Ergebnis für dieses Spiel. Heute gehts für das Spiel wahrscheinlich wieder in die gleiche Kneipe. Dieses Mal kann Russland ruhig gewinnen, weil Wochenende ist und ich danach gut feiern kann.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen