Samstag, 28. Juli 2012

Was ich aus Russland mitnehme

Meine letzten Stunden hier in Togliatti sind angebrochen. In 32 Stunden hebt mein Flieger in Samara ab und dann heißt es wohl erst einmal auf unbestimmte Zeit "Auf Wiedersehen Russland" und (so realistisch bin ich) wahrscheinlich für immer "Auf Wiedersehen Togliatti". Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Meine Zeit hier in Togliatti hat sich von zehn auf neuen Monate verkürzt. Nicht etwa, weil ich das so gewollt hätte, sondern aus dem Grund, dass mir ein Monat Visum fehlt und alle, die mir eine erneute Einladung für einen weiteren Monat Visum hätten ausstellen können, nicht sonderlich motiviert waren sich unötige Arbeit aufzuhalsen.
Ich habe versucht die letzten drei Wochen nach dem Camp noch einmal in vollen Zügen zu genießen und möglichst wenig Gedanken auf die Zeit danach zu verschwenden (soweit das geht, wenn man nebenbei nach Stelle Ausschau hält und Bewerbungen schreibt).
Ich bin viel am Strand gewesen, auch wenn die Wolga durch Algen im Moment grüner ist als der Chicago River am St. Patrick's Day. Meine Sonnenbrände sind nicht mehr ganz so extrem; man kann sagen, dass ich etwas Farbe bekommen habe. Zwei mal waren wir in der Datscha einer Freundin eines Freundes. So läuft das hier in Russland: Ich kannte Lena (so heißt die Besitzerin der Datscha) vorher nicht und kam mir ein bisschen wie ein Eindringling vor, also wir zum ersten Mal bei ihr aufgeschlagen sind, aber beim zweiten Mal fühlte es sich schon an wie zu Hause. Die Datscha ist super gelegen - nur ca. 100 m von der Wolga entfernt - und erinnert an ihrer Herausgeputztheit ein Wenig an Deutschland, wenn da nicht die Banja im Garten wäre. Die haben wir dann auch intensiv genutzt. Es gibt nichts Schöneres als aus der Banja direkt in die Wolga zu springen und im Mondschein zu schwimmen.
Grüne Wolga

Zwei Tage lang waren Kevin und ich noch in Kazan. Wir haben es bereits seit unserer Ankunft geplant, aber immer wieder ist etwas dazwischen gekommen; Arbeit, Geburtstage, das Wetter, die eigene Antriebslosigkeit, die Fußball-EM. Um allen Leuten, die Kazan immer für unser Luftschloss gehalten haben, das Gegenteil zu beweisen, haben wir uns dann letztendlich doch auf den Weg gemacht. Sechs Stunden mit dem Bus (im Vergleich zu unseren 14 Stunden Nizhny Novgorod ein Klacks) immer entlang unseres Wolga-Stausees (Togliatti und Kazan bilden die beiden Endpunkte des Kuibyschewer Stausees). Ich habe es glaube ich schon häufiger geschrieben und es ist unvorstellbar, wenn man es nicht selber gesehen hat, aber manchmal hat man das Gefühl, dass das kein Fluss mehr ist, an dem man dort entlangfährt, sondern eher die Ostseeküste oder so. Besonders in der Nähe von Kazan, wo die Kama in die Wolga mündet, blickt man teilweise auf 30-40km Wasser.
Ein letzes Mal Wolga in Togliatti

Kazan ist die Haupstadt der Republik Tatarstan. Nein, das ist kein Hackfleischsteak sondern eine der vielen Russischen Nationalitäten. Die Tataren sind kein Fantasievolk sondern existieren wirklich und in ziemlich großer Zahl. Da die Tataren muslimisch sind, ist auch Kazan mit 70% tatarischer Bevölkerung stark muslimisch geprägt. So konnten wir im Kreml die größte Moschee Europas bestaunen. Es gibt einer Stadt gleich ein anderes Flair, wenn statt Kirchtürmen Minarette in den Himmel ragen. Wir haben ironischerweise die zwei einzigen kalten Regentage seit zwei Monaten für unsere Reise gewählt, aber so war ich wenigstens angemessen gekleidet für unser Moschee-Sigthseeing.
Größte Moschee Europas in Kazan 

Seit drei Tagen bin ich jetzt in den konkreten Rückreisevorbereitungen und auch schon in der Vorbereitung auf das Workcamp, in das ich nach nur einem Tag Pause fahre. Mittlerweile lässt sich nicht mehr leugnen, dass ich Russland bald verlasse und ich kämpfe bis jetzt noch erfolgreich gegen die Melancholie an, die sich einzustellen droht. Wieder alles packen, sich von Dingen und Gewohnheiten trennen, Erinnerungsstücke entsorgen, die jemand mit festem Wohsitz wahrscheinlich 20 Jahre aufbewahren würde, Dinge ein letzes Mal machen, Wege ein letzes Mal gehen (das letzte Mal einkaufen, das letzte Mal Banja, das letzte Mal Wolga). Die Ungewissheit wo es danach hingeht. Und was am Schlimmsten ist: Wieder mal Abschied nehmen von Freunden, die man gerade erst gewonnen hat. Klar, ich habe mittlerweile Freunde auf der ganzen Welt, aber manchmal ist es auch ganz schön Freunde vor Ort zu haben.
Bevor ich jetzt zu sentimental werde lieber auf die schönen Seiten blicken. Ich glaube es war absolut die richtige Entscheidung hier herzukommen. Ich habe Russland ein gutes Stück besser kennengelernt, eine neue Sprache in Ansätzen gelernt und durch meine Aufgaben hier viel dazugelernt.
Bleibt nur noch die Frage zu beantworten, was ich aus Russland mitnehme. Immateriell ziemlich viel. Materiell grenzen mich die Gepäckbeschränkungen mal wieder extrem ein. So bleibt nur Platz für eine Auswahl meiner schönsten Kühlschrankmagneten, zwei Flaschen Wodka und drei Packungen russische Aspirin (nicht gegen den Kater vom Wodka sondern weil die so extrem billig sind: 4 Rubel (10cent) pro zehner-Packung!)

Dienstag, 24. Juli 2012

Russische Frauen

...und ein bisschen auch die russischen Männer

Ich habe diesen Beitrag schon lange geplant, ihn aber immer herausgezögert. Wahrscheinlich hätte ich schon nach einer Woche über das Thema schreiben können, aber dann wäre meine Meinung nicht so differenziert gewesen. Ich hoffe auch jetzt, dass mein Beitrag nicht zu sehr ins klischeehafte abgleitet.
Nach einer Woche war das Thema "Frauen und Männer und Unterschiede" im Kreise unserer drei Freiwilligen brandheiss. Grund dafür: Man schüttelt Frauen in Russland nicht die Hände. (Mittlerweile weiß ich, dass das so nicht ganz stimmt. Bei geschäftlichen Kontakten werden schon die Hände geschüttelt und wenn eine klare Initiative von der Frau ausgeht, darf auch geschüttelt werden)
Was mir bekannt war, hat Kevin gleich am zweiten Tag in sein erstes großes russisches Fettnäpfchen treten lassen. Er hat der Freundin von Sergey (einer unserer ständigen Begleiter der ersten Wochen) zum Abschied die Hand gereicht. Besagte Freundin ist tiefrot angelaufen, hat wechselweise die ausgestreckte Hand und Kevin angeguckt, angefangen zu kichern und ihn dann nach einigen peinlichen Sekunden umarmt (was wiederum Sergey offensichtlich missfallen hat). Danach wurde Handschüttel-Problem bei uns eingehend diskutiert. Kevin konnte es überhaupt nicht fassen, dass Russland da so "rückständig" ist und ich muss zugeben, dass es für mich auch jetzt immer noch befremdlich ist, wenn zum Beispiel in unserem Lingvoclub einige der Jungs ankommen, sich durch den ganzen Raum arbeiten um allen männlichen Teilnehmern plus Kevin die Hand zu schütteln und für mich nur ein leichtes Kopfnicken überhaben. Aber man passt sich ja an Vieles an.
Was meine beiden Mitfreiwilligen nicht so stark wahrgenommen haben wie ich, war dass ich auch abseits des Händeschüttelns immer etwas außen vor war, aus dem einfachen Grund, dass ich die einzige Frau in einer Männerrunde war. Da ich generell etwas schüchtern ruhig bin, mag ich es nicht gerne mich in ein Gespräch zu drängen, und schon ja nicht, wenn man keinerlei Anzeichen macht mich einzubinden. In den ersten Wochen hatte ich nur eine Person (neben Kevin und Martin), die überhaupt von sich aus mit mir geredet hat. Das hat mich echt deprimiert und ist erst besser geworden, als ich angefangen habe mir meinen eigenen Kreis an Leuten aufzubauen.
Nun soll es aber nicht so aussehen, als ob ich ein großes Problem mit russischen Männern hätte. Mittlerweile fühle ich mich in Männergesellschaft sogar wohler, vorrausgesetzt es ist nicht die Sorte dabei, die nicht gerne mit Frauen kommuniziert. Es sind eher die Frauen die mich einschüchtern in Erstaunen versetzten belustigen ... mir fällt keine richtige Beschreibung ein. Irgendwie erfüllen Russische Frauen immer jedes Klischee, was man von ihnen hat.
Um die Sache von hinten aufzuziehen und vielleicht eine Erklärung zu geben, warum russische Frauen sind wie sie sind, muss man wissen, dass das russische Gesellschaftsbild recht starr ist, genaue Rollenvorstellungen hat und einen enormen Druck ausübt - besonders auf die Frauen. Der typische russische Lebenslauf sieht wie folgt aus: mit 17 Schulabschluss und an die Uni (man wohnt weiterhin bei den Eltern), mit 22 Uni-Abschluss, mit spätestens 23 Heirat (um endlich bei den Eltern ausziehen zu können), mit 26 1-2 Kinder, mit 27 Scheidung. Zeit für einen beruflichen Aufstieg bleibt nicht wirklich, ist auch nicht nötig, weil Frau sich ja sowieso um die Kinder kümmert.
Wer nicht in diesen Lebensentwurf reinpasst, der steht unter enormen Druck. Die Torschlusspanik, die deutsche Frauen bekommen, wenn es auf die Menopause zugeht, haben russische Frauen bereits mit 24 Jahren, wenn die Zahl der brauchbaren Männer sich durch Heirat und Alkoholabhängigkeit immer weiter verringert. Glücklicherweise wird der (äußerliche) Alterungsprozess durch diese Lebensweise stark beschleunigt, so dass ich trotz meiner 26 Jahre immer noch gut als Anfang 20 durchgehe (vor kurzem wurde ich auf einem 18 Geburtstag sogar auf 20 geschätzt *hach*).
Dieser Hintergrund erklärt einiges am Verhalten russischer Frauen. Die russische Frau sieht immer perfekt aus. Sie hat kein Übergewicht, schminkt sich (aber nur dezent), trägt hauptsächlich elegante Röcke und Kleider mit High-Heels und hat lange, gepflegte, ungefärbte Haare. Im Winter habe ich mich immer etwas plump gefühlt, wenn ich mit meinen drei Schichten Kleidung und derben Schuhen in den Bus gestiegen bin und mich geärgert habe, dass meine Haare sich trotzt ewiger Föhnprozedur und jede Menge Haarspray gelockt haben, während neben mir eine Russin im eleganten Pelzmantel mit Pelzhut auf perfekt geglätteten Haaren, mit Rock und hohen Stiefeln mit Absatz saß. Jetzt im Sommer ist es etwas besser geworden. Kleider sind mir nicht mehr zu kalt, durch das dauerhafte Schwitzen werden auch die russischen Haare kraus und im Bikini sind die Speckröllchen eher zu sehen als unter dem weiten Pelzmantel.
Die russische Frau ist außerdem die Aktive in der zwischengeschlechtlichen Beziehung. Wenn sie einen Mann will, bekommt der die volle Charmoffensive zu spüren. Es ist immer wieder witzig zu sehen, welchen Effekt ein ausländischer Mann auf einen Haufen russischer Frauen hat; wie dieser eine Mann plötzlich umschwirrt und umgarnt wird.Von außen betrachtet wirkt das ganze immer etwas zu offensichtlich, künstlich und übertrieben; die Russischen Frauen und Mädchen erscheinen mir zudem immer so profan und uninteressant, sodass ich mir immer sage, dass mich das als Mann wahrscheinlich eher abstoßen würde, aber vielleicht hat es einen anderen Effekt, wenn man direkt involviert ist. Ich kenne auf jeden Fall kaum einen Ausländer, der keine russische Geliebte/Freundin hat. Russische Frauen haben international wohl nicht zu Unrecht einen gewissen Ruf.
Unter meinen Freunden und Bekannten hier sind eigentlich nur drei Frauen, mit denen ich viel zu tun habe. Davon ist einen eine Ausländerin, eine die Freundin von Kevin und die dritte ein Hippie-Mädchen und zugleich die einzige Russin, mit der ich das Gefühl habe auf Augenhöhe zu reden.

Samstag, 21. Juli 2012

Essen Teil 5: Russifizierte Geschmäcker

Vor kurzem habe ich festgestellt, dass sich mein Geschmack in den neun Monaten, die ich hier verbracht habe, sehr den russischen Vorlieben angenähert hat.
Wenn ich mir meinen Tee selbst zubereite, ist er zwar immer noch zuckerfrei, aber mittlerweile macht es mir nichts mehr aus den vollkkommen übersüssten Tee oder Kompot in den Kantinen zu trinken. Irgendwie muss man seinen Flüssigkeitshaushalt im Sommer ja aufstocken. Generell kommt mir Süßes in Russland nicht mehr so süß vor wie noch am Anfang. Den Kuchen esse ich mittlerweile echt gerne.
Ähnliches gilt für salzige Lebensmittel. Ich bin ein Fan von eingelegtem Gemüse jeder Art geworden. (OK, eingelegte Wassermelone habe ich noch nicht probiert. Die gibt es nämlich auch!) Gesalzene семечки (semetschki - sonnenblumenkerne) mochte ich schon vorher, aber mittlerweile schmeckt mir auch der gesalzene, getrocknete Fisch, den ich bis jetzt immer abstoßend fand. Was ich wirklich vermissen werde, sind Russische Chips-Sorten. Wenn ich in Deutschland wieder nur die Wahl zwischen Paprika und Paprika scharf und Paprika noch schärfer und Paprika - brennt dir die Zunge weg habe, werde ich mich wohl nach meiner neuen Lieblingssorte "Eingelegte Gurke mit Dill" sehnen. Die schmeckt echt so, als wenn man an einem Glas eingelegter Gurken riechen würde.
Abseits davon habe ich noch einige sonderbare Russiche Angewohnheiten agenommen: Ich bin verrückt nach Sushi geworden! Ich esse meinen Salat mit Mayonaise! Bier ist kein Alkohol sondernein Erfrischungsgetränk! Und dazu muss man immer etwas salziges Essen. Ich habe mich außerdem etwas mit Pilzen und Pfannkuchen angefreundet. Was ich allerdings nie mögen werde ist Kascha - der weder richtig süße noch richtig herzhafte, immer extrem zerkochte haferbrei der hier zum Frühstück Standard ist.
Meine Lieblings Chips-Sorte: Eingelegte Gurke mit Dill

Freitag, 29. Juni 2012

Kinder

Ich habe in den letzten Wochen festgestellt, dass Sprachenlernen für Kinder wirklich Spaß bedeutet. Weder meine Studenten noch die Jugendlichen, die ich in der Schule unterrichtet habe, sind jemals mit solch einer Begeisterung aus meinen Stunden gegangen wie die Kinder, die ich jetzt habe.
Anfang Juni habe ich für zwei Wochen bei einer Art Sommer-Sprach-Schule mitgemacht, die von der Schule angeboten wurde, an der ich das ganze Jahr über unterrichtet habe. Die Kinder haben hier drei Monate Ferien, aber besonders in den ersten Wochen sind sie noch täglich freiwillig in der Schule, weil dort Aktivitäten angeboten werden. Die Sprachenschule wurde von den Fremdsprachenlehrern für Schüler der Schule und Kinder eines benachbarten Waisenhauses angeboten. Jeden Tag drei Stunden in Deutsch, Englisch oder Französisch. Kevin und ich haben mit unterrichtet.
Im Moment bin ich mal wieder im Alliance Francaise Sprachencamp. Im Winter habe ich schon einmal mitgemacht (siehe entsprechenden Beitrag im Januar). Dieses Mal sind es ganze zwei Wochen, die ich unterrichte. Außer mir sind noch Kevin, Zanda und Mael dabei und außerdem zwei Austauschstudenten aus Ghana und ein Franzose. Das Besondere ist, dass dieses Mal noch jüngere Kinder dabei sind, als letztes Mal. Die jüngsten sind sechs Jahre alt und gehen glaube ich noch nicht mal zur Schule. Ich habe eine Schülerin, die jeden zweiten Tag von mir zwei Stunden Einzelunterricht bekommt, weil sie als einzige aus ihrer Gruppe Deutsch als erste Sprache gewählt hat. Sie ist vierzehn und unterhält sich mit mir fließend auf deutsch, obwohl sie erst seit einem Jahr lernt. Ich glaube sie wird von den zwei Wochen echt profitieren.
Der Rest der Schüler spricht gar nicht bis schlecht deutsch, aber das macht nichts, das ich mittlerweile weiß, wie ich mit kompletten Anfängern umgehen muss (Mein Spielerepertoir hat sich ungemein erweitert).
Eine Sache, die mich immer wieder beeindruckt, ist die Schnelligkeit, mit der Kinder neue Sachen aufnehmen. Ich habe, wie gesagt einige sehr kleine Kinder dabei. In meiner ersten Stunde habe ich mein Standard-Programm abgezogen (Ich heiße - Wie heißt du? etc.). Dazu habe ich die Sätze an die Tafel geschrieben, damit die kompletten Anfänger sie ablesen können. Während der Rest der Klasse eifrig abgeschrieben hat, hing ein kleines Mädchen gelangweilt auf ihrem Stuhl herum und hatte noch nicht mal etwas zum Schreiben in der Hand. Und da ist mir plötzlich klar geworden, dass sie wahrscheinlich so jung ist, dass sie noch nicht einmal ihr eigenes Alphabet kann. Ich habe deshalb in der nächsten Stunde ausführlich das ABC behandelt und war stark beeindruckt von den Kindern. Ich selbst habe knapp zwei Wochen lang das russische Alphabet geübt und habe manchmal immer noch Probleme besonders Schreibschrift zu lesen. Diese Kinder lernen praktisch parallel in der Schule ihr eigenes Alphabet und das Lateinische. Als ich gefragt habe, wer das Alphabet kennt und es gerne an die Tafel schreiben würde hat sich sofort ein Mädchen gemeldet, dass dann ein perfektes, sauberes Schreibschrift-Alphabet angeschrieben hat - und sie war acht Jahre alt, geht also erst zwei Jahre zu Schule. Ich weiß nicht wie die das machen, aber ich konnte nach zwei Jahren gerade mal mein Schreibschrift-Alphabet...

Samstag, 23. Juni 2012

Zeitzonen-Wahnsinn

Zeitzonen sind ein Phänomen, das man nur begreift, wenn man unmittelbar davon betroffen ist. Solange ich in Deutschland gelebt habe, wusste ich nicht einmal in welche Richtung ich Stunden dazu- oder abrechnen musste. Mittlerweile stecke ich mitten drin in der Problematik.
Ich wohne am östlichen Rand der Moskauer Zeitzone. Am westlichen Rand liegt St. Petersburg, was ungefähr 2000 km von uns entfernt ist (in ungefähr die Entfernung Hamburg-Madrid). Am Anfang meiner Zeit hier in Russland, im Winter, war ich Deutschland immer drei Stunden voraus, was sehr praktisch war zum Telefonieren, da ich häufig bis zehn gearbeitet habe und dann immer noch bedenkenlos zu Hause anrufen konnte. Dann kam in Deutschland die Umstellung auf die Sommerzeit - und die haben wir nicht mitgemacht. Russen haben mir erzählt, dass es bis vor ein paar Jahren noch Zeitumstellungen gab, die aber abgeschafft wurden. Laut Wikipedia geschah dies, um die Wirtschaftlichkeit des Landes zu steigern. Wieso Sommer- und Winterzeit ein Land unwirtschaftlicher machen ist mir immer noch unklar.
Seit der Zeitumstellung in Deutschland sind wir euch also nur noch zwei Stunden voraus. Das ist wiederum mittlerweile auch ganz schön, da so Fußball nur spät und nicht extrem spät anfängt. Die Spiele beginnen bei uns um 22.45 - ich bin im Moment also nie vor ein Uhr im Bett...
Das Bemerkenswerteste an unserer Zeitzone (und auch der Grund, warum ich den Beitrag Zeitzonen-Wahnsinn getauft habe) ist jedoch etwas anderes. Wir leben wie gesagt am östlichsten Rand der Zeitzone. Das hat zur Folge, dass es hier extrem früh dunkel wird. Um 10, maximal um 11 ist es stockduster. Dafür wird es allerdings auch extrem früh wieder hell. Um drei Uhr geht im Moment die Sonne auf, um vier Uhr ist helllichter Tag. Wenn ich also nach dem Fußball nicht sofort ins Bett gehe, ist es höchstwahrscheinlich hell, wenn ich nach Hause fahre (so wie heute, wo ich nach dem Deutschland-Spiel erst um halb fünf nach Hause gekommen bin). Am letzten Samstag haben wir nach dem Russland-Spiel noch recht lange gefeiert. OK, es gab eigentlich keinen Grund zum Feiern, weil Russland ausgeschieden war, aber es war immerhin Samstag. Als wir um fünf Uhr aus dem Club gekommen sind war strahlender Sonnenschein. Ich habe zum Spaß gesagt, dass wir theoretisch direkt zum Strand weitergehen könnten - meine Mitstreiter haben das allerdings nicht als Spaß aufgegriffen und so sind wir tatsächlich (nach kurzem Umweg zum Badesachen holen) direkt an den Wolga-Strand gefahren. Es war genial! Sonnenschein wie am Tag und ein leergefegter Strand - außer ein paar Frühschwimmern, die uns besoffene Gestalten verwundert bis fasziniert angestarrt haben, war niemand dort. Blöd war nur, dass ich gegen 12 Uhr in der prallen Mittagssonne eingeschlafen bin und deshalb die ganze Woche über mit dem übelsten Sonnenbrand kämpfen musste. Aber das ist zu verkraften für eine Anekdote aus meiner Russland-Zeit, die ich wahrscheinlich noch meinen Enkeln erzählen werde.

Mittwoch, 20. Juni 2012

рок над волгой

Von "Rock nad Wolgoi" wurde uns praktisch seit unserer Ankunft hier in Russland erzählt. Ein Rockfestival, das jedes Jahr in der Nähe von Togliatti stattfindet (eigentlich eher in der Nähe von Samara, aber dass verschweigt der stolze Togliattier). Nur einen Tag lang, aber dafür mit freiem Eintritt und riesig groß. Und als Headliner dieses Jahr dabei: Limp Bizkit! Ich weiß, die haben ihre besten Zeiten lange hinter sich, aber abgesehen davon war das Konzert-Highlight in diesem Jahr bisher der Auftritt der Scorpions in Samara - und die haben ihre besten Zeiten noch viel länger hinter sich.
Wir wussten also wie gesagt schon lange, dass Rock nad Wolga stattfindet, und hatten uns eigentlich auch vorgenommen hinzugehen. Trotzdem haben wir es noch verpeilt und ausgerechnet auf diesen Tag unsere Uni-lecture verlegt. Glücklicherweise hat uns noch rechtzeitig jemand darauf hingewiesen und dank der russischen Flexibilität konnten wir den Termin noch einmal verschieben.
Spontan haben wir auch noch Leute gefunden, mit denen wir hinfahren konnten: Inna und Denis, zwei Teilnehmer aus unserem Lingvoclub, mit denen wir schon öfters was unternommen haben. Um acht Uhr morgens sind wir losgefahren und nach mehreren Stunden zielloser Fahrt mit mehrmahligem Verfahren um 11 Uhr pünktlich zum Beginn angekommen. Meinen Hinweis, dass wir uns irgendeinen Anhaltspunkt suchen sollten, um unser Auto, einen beige-grauen Lada Kalina (wie fast jedes zweite andere Auto), wiederzufinden, wurde übergangen. Man kann wahrscheinlich schon ahnen worauf das nach dem Konzert hinausgelaufen ist...
 Nach ca. einer Stunde Schlangestehen extrem (siehe meine Ausführungen zum Russischen Warteverhalten im vorherigen Artikel) hatten wir es endlich auf das Gelände geschafft. Von meinen Leuten aus Togliatti waren ziemlich viele da, ich habe allerdings nicht alle getroffen, die ich treffen wollte, da das Handy-Netz chronisch überlastet war. Meine Fahrer habe ich gleich am Anfang verloren, dafür habe ich durch Zufall Mael und Zanda (der Franzose und die Lettin) getroffen, mit denen Kevin und ich fast den ganzen Tag verbracht haben. Die beiden waren mit einer Gruppe Schauspieler im Bus gekommen - ein witziger Haufen.
Von den Bands, die aufgetreten sind, kennt man in Deutschland außer Limp Bizkit wahrscheinlich nur noch Garbage und Zaz (die hatte einen großen Radio-Hit im letzten Jahr "Je veux"). Ansonsten waren es russische Bands. Besonders gut haben mir Leningrad gefallen, eine Ska-Band mit Texten, die zu großen Teilen aus Schimpfwörtern bestehen (die verstehe ich mittlerweile).
Was mich etwas überrascht hat, war der Nationalismus, der überall offen zur Schau gestellt wurde. Russland-Flaggen überall un in einer Pause wurde sogar die Nationalhymne gespielt. Aber das liegt wahscheinlich daran, dass das ganze vom Oblast Samara finanziert und organisiert wird und auch noch einen Tag vorm Nationalfeiertag stattgefunden hat. Noch krasser wurde es dann, als Alissa ihren Auftritt hatten. Klingt nach Telenovela, ist aber Altherren-80er-Glam-Rock mit starkem Hang zum Nationalismus. Da wurden dann die Russischen Flaggen von den schwarz-gelb-weißen Zarenreichsflaggen verdrängt.
Laut Zeitungsartikeln waren 306.000 Menschen auf dem Festival. Ich kann große Menschenmengen immer schlecht einschätzen, aber das kann schon hinkommen. Vor allem, weil viele Menschen speziell für ein oder zwei Bands gekommen sind und nicht den ganzen Tag über da waren.
Um 11 Uhr abends hat alles mit Limp Bizkit und Feuerwerk aufgehört. Fred Durst ist grau geworden! Und er hat doch tatsächlich versucht mit dem Publikum auf englisch zu komunizieren. Hat natürlich kaum jemand verstanden.
Irgenwo mittendrin: ich (Bild stammt nicht von mir, sondern aus dem Internet)
 Um 11 war wie gesagt Schluss. Wir sind allerdings erst um halb zwei nach Hause gefahren. Warum? Zuerst einmal hatten wir - Überraschung! - Probleme unser Auto zu finden. Danach haben wir Inna zu Fuß zum nächsten Bahnhof gebracht, da sie nach Samara fahren wollte. Ich habe ja verstanden, dass wir sie nicht alleine im Dunkeln dahin laufen lassen können. Aber der Bahnhof war vier Kilometer vom Festivalgelende entfernt. Nachdem ich schon den ganzen Tag durch die Gegend gelaufen bin, waren die acht kilometer hin und zurück der reinste Höllenmarsch. Danach sind wir, obwohl wir fast die letzten waren, die das Gelände verlassen haben, noch in einen Stau gekommen. Letztendlich waren wir um vier Uhr wieder zu Hause.

Samstag, 16. Juni 2012

Das Mekka der Ineffizenz

Ich hatte mich lange davor gedrückt diese eine Sache zu erledigen. 

Nein, es geht nicht um Bewerbungen schreiben, Zimmer aufräumen, Sport treiben. Es geht um Postkarten. Genauer gesagt um zwei Postkarten nach Deutschland, die ich geschrieben habe, während mein Bein in Gips war, und die jetzt schon geraume Zeit darauf warteten in den Briefkasten geworfen zu werden. Das einzige was sie noch von ihrem Ziel trennte war der Gang zur Post um Briefmarken zu kaufen.
Eigentlich liebe ich Post. Nicht die Deutsche Post als Institution sondern Post im allgemeinen - die schönen Briefmarken, die freudige Erwartung beim Briefkasten öffnen, das Einwerfen in den Briefkasten und die Vorfreude beim Öffnen eines Paketes oder Briefes. Deshalb bin ich jetzt auch selbst ein bisschen überrascht, dass ein einfacher Besuch auf dem Postamt mich so viel Überwindung kostet.

Das größte Problem bei einem Postbesuch in Russland ist, dass man immer unendlich viel Zeit einplanen muss. Man betritt den Raum und sieht ungefähr 7-10 Menschen, die scheinbar durcheinander
herumstehen. In Wahrheit warten sie, ich habe nur noch nicht verstanden nach welchem Prinzip. Grundsätzlich gilt beim Warten in Russland das Prinzip "Dreist Gewinnt". Ich kann noch so lange auf einen Bus gewartet haben; wenn die Frau, die gerade vor einer Minute gekommen ist, dreisterweise vor mir einsteigt, bin ich die die stehen oder draußenbleiben muss. Im Supermarkt kommt es häufig vor, dass "Sie" mit einer Flasche Wasser in der Schlange steht und "Er" kurz vor der Kasse mit einem voll gefülltem Einkaufswagen an den Wartenden vorbeigeht und zu ihr aufschließt. Ich habe mich mittlerweile schon daran gewöhnt meine Ellenbogen gekonnt einzusetzen und meinem Vordermann immer so dicht aufzurücken, bis ich mit der Nase fast seinen Rücken berühre. Der einzige Ort, an dem diese rücksichtslosen Prinzipien zu meiner Erleichterung nicht gelten ist die Poliklinik. Hier wird zuerst behandelt, wer zuerst da war.
In der Post kommt zu den üblichen Warte-Problemen hinzu, dass es mehrere Schalter gibt, an die sich die Menschen von mehreren Seiten randrängen. Es ist schon häufiger vorgekommen, dass ich direkt am Schalter stand und dann kurz vorher noch jemand von links kam und vordrängelte.
Bis jetzt ist mir ein Rätsel geblieben, womit die Postangestellten den ganzen Tag verbringen. Meistens sieht man 5-6 durch die Gegend laufen, aber nur zwei davon sitzen an Schaltern. Diese schreiben unablässig etwas oder stempeln - keine Ahnung was. Selbst wenn ich nur Briefmarken kaufe wird erst mal jede Menge geblättert, geschrieben, getippt. Da man bei der Russischen Post alles erledigen kann - von Rente abholen, über Handy aufladen bis hin zu Waschmittel einkaufen, sind die Postangestellten dauerhaft beschäftigt ohne wirklich effizient zu sein.

Meine Postkarten bin ich letztendlich doch noch losgeworden. Beim Briefmarken kaufen bin ich mit einer 10cm-Highheel-Russin aneinander geraten, die auf die gewohnte Art vordrängeln wollte. Mit gekonntem Ellenbogeneinsatz und einer guten Portion Stutenbissigkeit (dafür reicht mein Russisch mittlerweile schon aus) habe ich jedoch meinen Platz verteidigt und dann lieber gleich zehn Briefmarken auf Vorrat gekauft.

Heute musste ich dann allerdings schon wieder zur Post, weil mein Paket angekommen ist. Zum Glück war es relativ leer und aufgrund der Klimaanlage wäre ich sogar gerne noch länger geblieben.
Das mit der Schokolade war keine so gute Idee. Alles andere ist allerdings wohlbehalten angekommen. Vielen Dank!