Dienstag, 22. November 2011

Nachtrag zur Reise

Der Kuybyshev-Stausee (die Russen nennen ihn auch Meer)
Dort auf den Schienen sind wir gefahren (allerdings nicht im Sommer)
OK, ich gebe zu, eine Reise im Schlafwagen ist nicht ganz so spektakulär, wie ich sie mir vorgestellt habe. Wobei "immer nur Essen" das ganze eigentlich recht gut trifft. Man kann nämlich eigentlich nichts anderes machen als zu Essen, weil es keine Steckdosen für Laptops gibt und das Licht immer gedimmt wird, wenn man durch Städte fährt. Während der ersten Stunde habe ich noch aus dem Fenster gestarrt. Das war auch die Zeit, die wir gebraucht haben um aus Togliatti überhaupt raus zu kommen und die Wolga zu überqueren. Wenn ich es richtig gedeutet habe, sind wir praktisch über den Staudamm gefahren. Es war auf jeden Fall unglaublich, als ob wir mit dem Zug übers Meer fahren würden.

Vor der Abreise
Anschließend war es dann aber schon so dunkel, dass man nicht mehr im Tageslicht lesen konnte. Und das Licht im Zug wurde nur außerhalb der Städte hell genug gemacht. Die ersten Leute haben kaum, dass wir losgefahren sind ihre Pyjamas angezogen und ihre Betten gemacht. Im Wagon sind die Betten so aufgeteilt, dass sich immer vier Betten auf der einen Seite des Ganges gegenüberliegen (jeweils zwei Hochbetten) und auf der anderen Seite des Ganges noch mal ein Hochbett liegt. Dazwischen befinden sich Trennwände. Allerdings entsteht nicht wirklich Privatssphäre, da jeder in alle Betten gucken kann. Um 22.00 Uhr wurde dann das Licht komplett gedimmt. Das lag allerdings weit unter meiner üblichen Bettgehzeit hier in Russland. Ich lebe praktisch immer noch nach deutscher Zeit, das heißt, ich bin fast nie vor 3.00 Uhr im Bett. Ich habe also zuerst mit Martin alle typischen Reisespiele (Wer bin ich? etc.) durchgespielt, dann gegessen, dann versucht mit Taschenlampe zu lesen, dann wieder gegessen... Und das alles währen die alte Frau hinter der Trennwand schon geschnarcht hat. Irgendwann bin dann auch ich eingeschlafen. Es war nicht der erholsamste Schlaf, aber immer noch besser als im Sitzen schlafen. 
Unser Wagen
Um halb elf morgens sind wir in Moskau angekommen und am Bahnhof wartete schon die erste Überraschung. Sergej, ein Freund von Yuri (und mittlerweile wohl auch von uns), ist zur Zeit beruflich in Moskau. Wir haben in Togliatti zum Spaß gesagt, dass wir uns ja in unseren zwei Stunden Aufenthalt in Moskau treffen können. Und nun stand er tatsächlich am Bahnhof! Wir haben einen Kaffee getrunken und uns ein bisschen die Gegend angeguckt. Moskau hat mehrere große Bahnhöfe. Einen für jede Richtung. Wir sind am Kasaner Bahnhof angekommen, aber es gibt auch noch einen Kiewer, einen Leningrader, einen Belarussischen Bahnhof etc. 
Gegen Mittag haben wir unsere Reise fortgesetzt und sind um ca. 17.00 Uhr hier in Suzdal angekommen. Nach drei Wochen Plattenbau-Plan-Industriestadt ist Suzdal echt eine schöne Abwechslung. Es ist ein niedliches kleines Städtchem mit bunten Holzhäusern, vielen Kirchen mit Zwiebeltürmen, Pferdekutschen in den Straßen etc. ...Bilderbuchrussland


 

Sonntag, 20. November 2011

Auf zum On-Arrival Training

In der nächsten Woche fahren wir zum On-Arrival Training nach Susdal. Das Training ist für alle EFDler Pflicht. Das heißt, wir werden dort noch viele andere Freiwillige aus ganz Russland treffen, worauf ich mich schon echt freue.
Unsere Reise in der nächsten Woche
Allerdings braucht es erst einmal eine halbe Weltreise um überhaupt zum Seminar zu kommen. Aber das ist wohl normal für Russland und wir haben nicht die weiteste Anreise. Die haben laut Teilnehmerliste drei Freiwillige aus Ulan-Ude am Baikalsee (ca. 4400 km östlich von Moskau!). Unsere 1000 km bis Moskau reichen aber auch schon aus, um die Reise sehr lang zu machen.
Eigentlich fängt das Treffen nämlich erst am 23. an. Wir starten aber schon morgen am 21. hier in Togliatti. Weil die Zugverbindungen ziemlich ungünstig sind, kommen wir schon einen Tag vor Beginn des Seminars an. Morgen um 16.00 Uhr fahren wir hier in Togliatti los und kommen am Dienstag um ca. 10.00 Uhr in Moskau an. Wir fahren im Schlafwagen :) Yuri sagt in seinem Russenglisch: "Sleeping train is eating all the time and drinking all the time." (wörtlich übersetzt: Ein Schlafzug ist immer Essen und immer Trinken.) Wir überlegen schon, ob wir Bier mitnehen sollen, das wir gegen Wodka eintauschen können, aber Yuri sagt das brauchen wir nicht. Er ist im Frühjahr im Schlafwagen nach Abchasien gefahren und hat sich zwei Tage lang von den anderen Mitreisenden durchfüttern lassen. Wir werden sehen...
Von Moskau geht es dann weiter mit dem Zug nach Vladimir (ca. 200 km von Moskau entfernt) und von dort mit dem Mini-Bus nach Susdal. Laut Ticket sind wir gegen 17 Uhr in Vladimir und werden dann wohl im Laufe des Abends in Susdal eintreffen. 
Das Training dauert drei Tage bis zum 27. Danach fahren wir zurück nach Moskau, wo wir für zwei Nächte im Hostel übernachten um die Stadt kennenzulernen. Und in der Nacht vom 29. auf den 30. geht es zurück nach Togliatti. Insgesamt kostet die Fahrt ungefähr 3000 Rubel (ca. 75 Euro)
Mein Ticket für den Schlafwagen von Togliatti nach Moskau

Samstag, 19. November 2011

Im Schwimmbad

Heute war ich zum ersten Mal im Schwimmbad! Im бассейн олимп (bassein olimp). Kevin und Martin waren beide schon einige Male mit Yuri schwimmen, aber ich durfte nie mitkommen, weil es getrennte Badetage für Männer und Frauen gibt. Aber da heute Frauentag war und ich einen freien Vormittag hatte, habe ich die Chance genutzt. Martin hat mich zum Übersetzen begleitet, was auch echt gut war, weil ein Schwimmbadbesuch ein riesiger bürokratischer Akt ist.
Das ganze fängt schon beim Ticketkauf an. Man bezahlt nicht einfach seinen Eintritt und geht ins Schwimmbad, sondern man kauft im Prinzip Schwimmstunden, die zu festen Zeitpunkten beginnen und enden. Ich habe zum Beispiel heute die Stunde ab 10.45 Uhr gewählt wie ungefähr 40-50 andere Frauen auch. Das heißt, ich durfte ab 10.30 Uhr in die Umkleidekabinen um mich umzuziehen und zu duschen, ab 10.45 Uhr durfte ich für 45 Minuten ins Schwimmbecken (um pünktlich 11.30 Uhr wurde die nächste Schicht ins Becken gelassen) und danach hatte ich noch eine Viertelstunde zeit um mich zu Duschen und zu trocknen. Heute habe ich nur mit einer Einzelkarte geschwommen, aber für den Dezember habe ich mir ein Abonement gekauft, auf dem ich genau meine Schwimmzeiten angeben musste (Mittwoch und Freitag um 10.45 Uhr und Sonntag um 15.30 Uhr). Keine Ahnung, ob ich es immer zu diesen Zeiten frei habe, aber das Abonement lohnt sich schon ab drei mal Schwimmen im Monat.
Nachdem ich mit Martins Hilfe meine Eintrittskarte gekauft habe, stand ich vor dem nächsten Hindernis. Man kommt nämlich nicht so ohne Weiteres in die Schwimmhalle, sondern muss erst eine ärztliche Untersuchung über sich ergehen lassen (auf offene Wunden und Fußpilz :)). Die Ärztin konnte zum Glück ein bisschen Deutsch und war total begeistert mal einen Ausländer zu untersuchen. Nach der Untersuchung musste ich noch meine Jacke und meine Schuhe an der Gaderobe abgeben (Gaderoben sind unheimlich wichtig in Russland!) und dann ging es auf Badelatschen weiter in die Schwimmhalle. Beim Warten auf die Ärztin habe ich eine ältere Russin kennengelernt, die mir jetzt in der Schwimmhalle alles gezeigt hat. Ansonsten wäre ich wahrscheinlich vollkommen verloren gewesen. In der Umkleidekabine musste ich zuerst meine Eintrittskarte an der "Rezeption" abgeben, wo ich eine Spind-Nummer zugewiesen bekommen habe (Nr. B-66, was sich später noch mal als tückisch herausstellen sollte). Ich war schon zu spät für die 10.45-Session, weshalb ich nur schnell alle meine Sachen in den Spind geschmissen habe und ihn zugeknallt habe. Danach ging es in den zweiten Stock in eine riesige Schwimmhalle mit 10-Meter Sprungturm, drei Becken, zehn 50m-Bahnen und Tribüne. Schwimmen war echt mal wieder toll, wenn auch nur für 20 Minuten. Dann musste ich nämlich schon wieder raus und bin zum Duschen in einen riieeeesigen Duschraum (mit sicherlich 50 Duschkabinen) gegangen. Und dann kam das Highlight: Der Trockenraum. Ich hatte schon von Martin und Kevin davon gehört und war deshalb schon lange gespannt darauf. Es gibt in dem Bad zwei Räume, in denen an der Wand zwei riesige Warmluftgebläse hängen, die einen trocknen. Ich habe mir den Trockenraum angeschaut, dann aber beschlossen mich doch lieber auf die herkömmliche Art mit Handtuch zu trocknen, da sich unter dem Riesen-föhn ein Pulk älterer Frauen drängte.
In der Umkleide folgte dann der letzte Schock: Mein Schrank ging nicht auf! Ich stand also da nur mit Handtuch bekleidet und rüttelte verzweifelt an Schrank nummer 66. Eine Oma hat wohl meine missliche Lage mitbekommen und mir dann irgendwie verständlich gemacht, dass ich zur Rezeption gehen muss um meine Schrank wieder öffnen zu lassen. Ich ging also zur Rezeption und in dem Moment, als ich vor der übelstgelaunten Rezeptionisten stand, fiel mir ein, dass ich keine Ahnung hatte, was 66 auf Russisch heißt (Warum hatte sie mich auch keine Zahl bis 49 gegeben... Die hätte ich schon gekonnt). Aber mit viel Mimik und Gestik habe ich mich verständlich gemacht.
Nach diesem Abenteuer war die erste Fahrt alleine in der Marschrutka ein Kinderspiel!

Dienstag, 15. November 2011

Я не говорю по русски... But I can teach you English

Neben unserer Arbeit in den Schans-Häusern kristallisiert sich eine Hauptaufgabe heraus: Sprachen lehren. Yuri, unser Koordinator hat sich anscheinend in den Kopf gesetzt ganz Togliatti Englisch beizubringen, was paradox anmutet, wenn man bedenkt, dass er selbst nur gebrochenes Englisch spricht. 
Er hat dafür den LingVoClub gegründet. (Fragt mich bloß nicht wofür das VO steht) Es gibt auf jeden Fall einen regulären LingVoClub, in dem eine Sprachlehrerin einmal pro Woche auf die herkömmliche Art englisch unterrichtet. Allderings  wird die Lehrerin wohl demnächst "gefeuert" werden, weil sie unter der Hand Geld von ihrern Schülern nimmt, obwohl das Angebot umsonst sein soll (wie alles bei Schans). Für den Fall, dass sie sich nicht einsichtig zeigt, sind wir schon als Ersatzlehrer eingeplant... 
Neben diesem regulären Unterricht gibt es den LingVoClub freestyle, in dem sich alle an der englischen Sprache interessierten zwei mal pro Woche treffen. Jedes Treffen steht unter einem anderen Thema, zu dem Präsentationen, Filme und Lieder vorgeführt werden. Vor allem wird aber viel gesprochen und spielerisch die Sprachkenntnisse weiterentwickelt. Wie bei der Sprachanimation im Camp Helmstedt in diesem Jahr :) Wir haben in den letzten Wochen auch immer Beiträge für diesen LingVoClub vorbereitet. Geleitet wird dieser Club von Elina, die Englischlehrerin an einer Schule ist. Die war anscheinend von unseren Beiträgen so begeistert, dass sie dem Rektor ihrer Schule vorgeschlagen hat, dass wir ähnliches an ihrer Schule neben dem regulärem Englisch- und Deutschunterricht anbieten. Heute hatten wir ein Treffen mit dem Schulleiter und im Dezember kommen wir zwei mal pro Woche in die Schule.


Während wir also allen anderen "unsere" Sprache beibringen, haben wir immer noch nicht den versprochenen Russischkurs bekommen. Es ist allerdings erstaunlich wie viel zwei Wochen intensiv-Russisch ausmachen. Ich verstehe schon relativ viel. Allerdings nur, wenn ich anderen bei einer Unterhaltung zuhöre, werde ich direkt angesprochen ist es vorbei. Und sprechen kann ich noch lange nicht. Ich habe jetzt damit angefangen mir Vokallisten zu allen möglichen Themen zu machen (Gemüsesorten, Körperteile, Zeitangaben etc.). Das eine oder andere Wort bleibt hängen und mit dem was ich bei den russischen Unterhaltungen um mich herum aufgeschnappt habe, kann ich mich ab und zu verständlich machen. Allerdings kämpfe ich noch immer mit der Aussprache... Os, die eigentlich immer wie A ausgesprochen werden, weiche und harte Buchstaben, ungeheuer wichtige Betonung, die vollkommen willkürlich wechselt und vor allem: Das R. Ich kann es einfach nicht rollen! Und das gilt hier als Sprachfehler, wie bei uns das Lispeln.

Von Eskimos und tanzenden Verkehrsschildern

Unsere allererste richtige selbstständige Arbeitswoche ist vorbei und so langsam habe ich das Gefühl, dass ich das ganze Institutionengefüge hier einigermassen durchschaue. Das Jugendhaus Schans («Дом молодежных организаций Шанс») ist eine Einrichtung der Abteilung für Kinder und Jugend der Stadt Togliatti und ist für einen großen Aufgabenbereich zuständig. Das zentrale Büro ist zuständig für die Koordination des gesammten Schans-Apparates sowie für die (finanzielle) Unterstützung von benachteiligten Kindern. Zusätzlich gibt es noch ein Büro, das für die Vermittlung von Mini-Jobs an Jugendliche zuständig ist. Und zu guter letzt die Stadteilhäuser, die direkt mit den Jugendlichen arbeiten. Sie sind einerseits Jugendzentrum; das heißt die Jugendlichen und Kinder kommen nach der Schule in die Häuser um sich dort zu treffen, zu spielen, zu basteln etc., andererseits arbeiten die Mitarbeiter auch direkt mit den Schulen zusammen und führen dort Projekte durch.  


Von diesen Häusern gibt es insgesammt drei, wir haben aber bisher erst zwei besucht. Das ältere von beiden liegt in einem sozialen Brennpunktviertel (wurde uns zumindest so dargestellt). Leider (oder zum Glück) liegt dieses Viertel von uns so weit wie nur irgend möglich entfernt. Mit der Marshrutka (Minibus) dauert es bis zu 1,5 Stunden von uns bis nach Kosmolskaja (so heißt das Viertel). Bis jetzt waren wir zwei Tage in diesem Haus. Der Schwerpunkt liegt dort eher im kreativen Bereich. Die Jugendlichen basteln und handwerken viel, üben Theaterstücke und Vorführungen ein. Am ersten Tag waren wir mit der Gruppe bei einem Kontest für Verkehrserziehung, bei dem unterschiedliche Schulen Theaterstücke und Tänze zum Thema Sicherheit im Straßenverkehr aufgeführt haben. Drei Stunden lang tanzende Verkehrsschilder... Aber immerhin habe ich eine neue Vokabel gelernt: светофор - Ampel. 

Herausgeputzte Kinder warten auf ihren Auftritt
Unsere Schans-Gruppe
Die Sieger (Streber...)
Am Samstag waren wir noch einmal in diesem Haus und haben an einem "Intelektuellen Spiel" teilgenommen. Die scheinen hier in Russland recht populär zu sein; wir wurden schon zu dreien eingeladen. Es ist im Prinzip ein Quiz-Wettbewerb, bei dem die Jugendlichen in Gruppen gegeneinander antreten müssen und Fragen beantworten. Da das ganze natürlich auf Russisch abläuft, konnten wir keinen einzige Frage beantworten, aber anscheinend waren wir mit den klügsten Jugendlichen in einer Gruppe, denn wir haben den Wettbewerb gewonnen. Anschließend haben wir den Abend noch mit einigen Mitarbeitern und Jugendlichen dort verbracht. Das tolle ist, dass einige der Jugendlichen dort wirklich ziemlich gut englisch sprechen. Dadurch kann man sogar mal Unterhaltungen führen und muss sich nicht immer nur mit Händen und Füßen verständigen. Während wir so zusammensaßen hatte irgendjemand die "tolle" Idee, uns in die Kostüme aus der Themenwoche "Eskimos und Indianer" zu stecken:
Eskimos in Kosmolskaja (ganz authentisch mit Schee!)






















Freitag, 11. November 2011

Winter in Russland

Zu allererst einmal: Ich habe meine Winterstiefel wieder. Ich habe schon gehört, dass das eines der wichtigsten Themen auf Omas und Opas großer Feier war :)
Anne im Schnee (Im Hintergrund:
Martin aus Bulgarien und
eine
Mitarbeiterin von Schans)

Meine warmen Winterstiefel sind nämlich bei unserem "Umzug" irgendwie in der ersten Wohnung geblieben und es war unheimlich schwierig, den Vermieter irgendwie zu fassen zu kriegen. Aber jetzt habe ich sie wieder und das ist auch echt gut, weil meine Lederschuhe bei dem vielen Schnee, der in den letzten Tagen gefallen ist, ziemlich gefährlich waren. Ich bin praktisch nur ausgerutscht.

Zum ersten Mal geschneit hat es hier am Sonntag und richtig losgegangen ist es am Montag. Das war auch der einzige Tag, an dem der Verkehr mal ansatzweise zum Erliegen gekommen ist. Mittlerweile fährt aber alles wieder, obwohl so gut wie gar nicht geräumt wurde. Yuri driftet mit seinem Auto nur noch in einem atemberaubendem Tempo durch die Kreuzungen. 

Bei der Kleidung stelle ich fest, dass die Russen zwar auch noch wert auf die Mode, vor allem aber auf die Zweckmässigkeit legen. Ja, die Russinen verzichten größtenteils auf Highheels und steigen stattdessen auf wasserabweisende Stiefel um und auch ich fange langsam an die Vorzüge der Müllsackjacken zu erkennen.


Lada im Schnee (Leider kann man auf dem Bild die
Geschwindigkeit nicht erkenen)
Die größte Kälte ist erst einmal vorbei. Am Sonntagabend nachdem die Sonne untergegangen war, waren es -11 Grad, aber in den letzten Tagen war es immer um -3 - -4 Grad und heute waren es sogar nur 0 Grad. Ich werde immer dafür ausgelacht, dass mir schon jetzt kalt ist. Ich soll mich auf -30 Grad einstellen ("Aber so kalst ist es nicht für lange. Nur für zwei oder drei Wochen"...) Allerdings glaube ich, dass die meisten Russen in Deutschland im Winter auch frieren würden. Nicht draußen, dafür aber drinnen! Hier wird nämlich so stark geheizt, dass wohl selbst Anke (meine ständig frierende Tante) ins Schwitzen geraten würde. Und das überall: In Privatwohnungen genauso wie in öffentlichen Gebäuden, wie Schulen oder Universitäten. Man kann die Heizungen auch selber gar nicht regulieren, was dazu geführt hat, dass ich in der ersten Nacht mit weitaufgerissenem Fenster geschlafen habe während nebenbei die Heizung auf Hochtouren lief. So etwas kann sich wohl nur ein ölreiches Land leisten.

Montag, 7. November 2011

It's Russia - expect everything... and nothing

Octi, mein rumänischer Studienfreund, pflegte immer zu sagen: "Die USA sind das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Rumänien ist das Land der unbegrenzen Unmöglichkeiten." Ähnliches könnte man wahrscheinlich auch über Russland sagen. Noch besser trifft es allerdings Martin, mein bulgarischer Mit-Freiwilliger: "It's Russia - expect everything!" Ich füge dann immer in Gedanken hinzu: "...and nothing". 
Wie ich einigen schon geschrieben habe, waren die ersten Tage hier ziemlich chaotisch. Angefangen hat alles damit, dass wir am ersten Tag nach einem Einkauf in unsere Wohnung zurückkehrten und sobald wir den Schlüssel in die Tür gesteckt hatten unsere Nachbarin aus ihrer Wohnung geschossen kam und uns auf Russisch zu-diskutierte. Kevin und ich zogen uns gleich zurück in die Wohnung, Martin, der Russisch spricht, versuchte noch mit ihr zu reden, aber wirklich verstanden, was das Problem ist, haben wir nicht. Allerdings war diese Begegnung jedoch anscheinend ein Anlass für die gute Dame unseren Vermieter zu kontaktieren, der dann wiederum sofort Yuri, unseren Koordinator zu sich zitierte. Unglücklicherweise hatte dieser den Vermieter angelogen um an die Wohung zu kommen. Anscheinend sind russische Vermieter nämlich nicht ohne Weiteres bereit ihre Wohnungen an drei junge Ausländer zu vermieten, selbst wenn die Vermittlung über eine anerkannte städtische Einrichtung geschieht und das Geld von der Europäischen Kommission kommt. Deshalb hat Yuri dem Vermieter erzählt, dass in seine Wohnung ein Ehepaar mit Kind einzieht. Das Ende von der Geschichte ist: Der Schwindel flog natürlich mit Hilfe der netten Nachbarin sofort auf und wir wurden, kaum dass wir eingezogen waren, wieder aus unserer Wohung rausgeschmissen.
Danach waren wir drei Tage obdachlos und haben zunächst zwei Tage bei Yuris Großeltern in einem Dorf (oder Kleinstadt?) in der Nähe von Togliatti übernachtet und dann noch eine Nacht im Wohnzimmer seiner Eltern. Mittlerweile sind wir bei seiner Tante eingezogen, die alleine wohnt und uns als Untermieter aufgenommen hat. Ich weiß aber noch nicht, ob wir auf Dauer hier bleiben. Ludmilla, unsere Gastgeberin, hat sich auf jeden Fall in den Kopf gesetzt uns Russisch beizubringen. Sie sagt immer alles ganz langsam und wiederholt es so lange, bis wir verstanden haben. Insgesammt verstehe ich mittlerweile schon relativ viel russisch, könnte aber noch keinen einzigen Satz bilden.
Abgesehen von der Wohnungsangelegenheit läuft es hier eigentlich ganz gut. Yuri schleppt uns zu allen seinen Aktionen mit, von Sprachenklub über Break-Dance-Training bis hin zu Go-Spielen. Wir waren schon an der Uni, wo wir auch Kurse geben sollen, weil wir offiziell über die Uni eingeladen wurden, und haben mit der Chefin von Schans (dem Jugendzentrum) gesprochen. Und wir haben praktisch jeden Abend Besuch von Yuri und seinen Freunden, die sich meistens nicht vor 1 Uhr Nachts abwimmeln lassen, weshalb sich mein Schlafrhythmus immer noch nicht auf die drei Stunden Zeitunterschied eingestellt hat. Einer von den Freunden ist ein ziemlicher Asien-Freak, machst sämtliche Kampfsportarten und ist total verrückt nach Go, ein Spiel, das die Angewohnheit hat, sich ewig in die Länge zu ziehen. Kevin musste es schon am Abend unserer Ankunft spielen... ich habe mich um sechs Uhr morgens aus der Runde verabschiedet. Mittlerweile durfte ich auch einmal spielen und habe sowohl Martin als auch Kevin geschlagen :)


Etwas grau, aber es war trotzdem schön an der Wolga. Im Winter friert sie angeblich komplett zu!
Togliatti ist die flächenmäßig größte Stadt in der ich jemals gelebt habe. Sie besteht aus zwei Stadtteilen, der alten Stadt und der neuen Stadt, die aber durch einen 5-Kilometer breiten Park/Wald getrennt werden. Ich habe das Gefühl, dass man hier immer mindestens eine halbe Stunde unterwegs ist, bis man irgenwo ankommt. Und leider ist die Stadt auch noch vollkommen fußgängerunfreundlich. Ist wahrscheinlich auch zu kalt um lange Fußmärsche zu machen. Ein richtiges Stadtzentrum gibt es nicht, genausowenig wie alte Gebäude (sprich: älter als 50 Jahre). Das einzige schöne Gebäude, das ich bis jetzt gesehen habe ist eine Kirche. Ansonsten scheint es hier nur Unmengen an Wohngebäuden zu geben. Ab und zu erhascht man allerdings mal einen Blick auf die Wolga und die ist hier wirklich schön. Eigentlich ist es schon gar kein Fluß mehr, sondern eher ein kleines Meer.